Auf den Jahreswechsel!: Unterschied zwischen den Versionen
AzB-Jo (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
AzB-Jo (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
| Zeile 266: | Zeile 266: | ||
* '''[[Traktat: "Auswahl bemerkenswerter Freimaurer"]]''' - Berühmte, bekannte, bemerkenswerte - und manchmal auch berüchtigte – Freimaurer: Namen, Verbreitung & Wirken. | * '''[[Traktat: "Auswahl bemerkenswerter Freimaurer"]]''' - Berühmte, bekannte, bemerkenswerte - und manchmal auch berüchtigte – Freimaurer: Namen, Verbreitung & Wirken. | ||
* '''[[ | * '''[[Angewandte Freimaurersymbolik & -lehre im realen Leben]]''' - Eine der wesentlichen Bestandteile der modernen Freimaurerei sind Symbole. Symbole erreichen Menschen auf einer emotionalen Ebene, wo der reine Verstand nicht hinlangt - Menschen sind schließlich immer Ratio und Emotion. | ||
* [https://www.azb-bremen.de/ Internet-Auftritt der Loge Anschar zur Brüderlichkeit Bremen] | * [https://www.azb-bremen.de/ Internet-Auftritt der Loge Anschar zur Brüderlichkeit Bremen] | ||
Aktuelle Version vom 24. Dezember 2025, 19:49 Uhr
Traktat: Auf den Jahreswechsel !
von Jörg Schneider, Mitglied der Loge "Anschar zur Brüderlichkeit" im Orient Bremen, basierend auf der Erstellung eines Logen-Vortrags für den 30.12.2025.
Vorwort Ende Dezember 2025
Den folgenden Text habe ich für einen Glühweinabend in unserer Loge am 30.12.2025 entworfen. Daher wundert euch bitte nicht über entsprechende Anspielungen auf leckere Getränke und den launig-nachdenklichen, kabarettistischen Text. Mein Gedanke bei der Veröffentlichung war, dass vielleicht der ein oder andere Bruder bei gleicher Gelegenheit eine Vorlage zum Vortragen in geselliger Logen-Runde oder für ein Neujahrsschreiben sucht, um sie sich entsprechend anpassen zu können. Grüßt dann die beglückten Brüder bitte ganz herzlich unbekanntermaßen und gebt gerne auch mir Bescheid, wie es angekommen ist.
Mein Dank geht natürlich wieder an meine geduldigen Brüder der "Anschar zur Brüderlichkeit"!
Zum Jahreswechsel
Die besinnlichen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr haben schon manchen um die Besinnung gebracht. [Joachim Ringelnatz]
Wie wahr! Der Jahreswechsel ist für mich, wie für viele von euch vielleicht auch, meistens ein Moment, um anzuhalten, zurück zu schauen, das vergangene Jahr zu betrachten, zu sehen, wo ich jetzt stehe, und hoffnungsvoll zu überlegen, wie es weitergehen könnte, weitergehen sollte. Was die kommenden Ziele sein könnten und was voraussichtlich auf mich zukommt.
Und auf die Welt, auf uns alle.
Ihr kennt sicher den Spruch, dass das Licht am Ende des dunklen Tunnels durchaus auch der Zug sein kann, der mit voller Fahrt auf einen zukommt. Das beschreibt die Sorgen ganz gut, die mir beim Blick auf das kommende Jahr an den Kopf springen.
Andererseits bleibt mir ja hoffentlich noch viel Zeit, rede ich mir dann ein.
Habe ich erwähnt, dass ich im kommenden Jahr wieder „nulle“?
Ein Arzt beglückwünschte mich vor Kurzem zu meinem vorsorglichen Besuch bei ihm und meinte, es wäre schließlich gut, sich zur Lebenshalbzeit mal ein paar Gedanken zur zukünftigen persönlichen Gesundheitsentwicklung zu machen. Und ich würde doch sicherlich, wie eigentlich alle seine Patienten, fest davon ausgehen, mindestens gesund 120 Jahre alt zu werden. Interessanter Gedanke, da ist was dran.
Ich bin so dankbar, dass die Freimaurerei, gerade im Meistergrad, mir eine ergänzende Beschäftigung mit dem sich uns allen nähernden Tod erlaubt. Wenn ich mir auch mehr Gedanken und Gespräche dazu wünschen würde. Das hört sich irgendwie morbide an, ja, okay. Stimmt. Aber mentale Entwicklung wird nun mal über Austausch und den Empfang neuer Ideen und Denkweisen angestoßen. Und da profitieren wir Freimaurer ja alle von dieser schönen Mischung an Menschen, die sich zum Austausch in der Loge treffen. Wir müssen diese Möglichkeiten nur wirklich ermöglichen, anstoßen und fördern.
In wie weit leckerer Glühwein diesen Gedankenprozess befördert, behindert (besonders das Merken der Erkenntnisse am Ende) oder sogar überhaupt erst ermöglicht, ist mir allerdings noch etwas unklar. Ich setzte für den Weg meiner Erkenntnis aber heute (nur heute!) voll auf die alkoholische Erleuchtung!
Es heißt doch immer so schön: In vino veritas.
Aber ob die Wahrheit immer so hilfreich ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Manche schöne Illusion macht unser Leben doch oft viel schöner. So auch der Blick auf das heran stürmende Jahr, wenn man davon ausgeht, schließlich mindestens 120 Jahre alt zu werden. Selbstverständlich ohne Sorgen und Gebrechen, ist ja klar. Da jubelt die Verdrängung.
Und dabei haben wir wohl alle dies Gefühl, dass die Zeit immer schneller zu rennen scheint.
So erzählte mir ein Bruder, sein Sohn würde sich nicht um einen Praktikumsplatz kümmern, weil das schließlich erst in 6 Monaten ansteht. 6 Monate, das ist für die Älteren quasi morgen. Auch wenn es weh tut, ja, ich müsste mich wohl auch dazu zählen, weigere mich aber noch standhaft! Mit der Hoffnung, dass Glühwein auch in diesem Fall als Medizin wirkt…
Und dabei sagte Oma schon früher: Warte erstmal ab, wie schnell die Zeit erst vergeht, wenn Du in meinem Alter bist!
Zack, Bein kaputt, Haare weg, Ohr hinüber, Augen trübe…
Beim Schwimmen bat mich im Frühjahr eine niedliche alte Omi mit ihren weit über 80 Jahren, die ich seit vielen Jahren dort kenne, doch mal ganz vertraulich näher zu schwimmen. Sie müsste mir leise etwas ganz unanständiges erzählen. Und sie sagte ganz leise: „Ich muss Dir gestehen – alt zu werden ist vielleicht SCHEISSE!“ Was haben wir gelacht. Sie ließ sich die Freuden trotz aller Widrigkeiten nicht nehmen. Wie wunderbar.
Und dann kam neulich die eMail: Unsere Omi Hildegard ist unerwartet von uns gegangen. Einfach so. Dabei gab es doch noch genug zu erzählen und zu lachen.
Eigentlich gilt doch immer der Leitsatz:
Merke : Das Leben ist kein Ponyschlecken!
Inzwischen schaue ich Gesundheitssendungen im Fernsehen und spreche mit Freunden über Vitamintabletten und unsere Wehwehchen.
Soweit ist es schon gekommen…
Und neulich erzählte ein wenige Monate vor der Rente stehender Mitpatient im Wartezimmer meines Hausarztes in verschwörerischem Ton seiner dort getroffenen Bekannten:
„Weißt du Herta, das Geheimnis ist, gebraucht zu werden! Sonst biste gleich weg vom Fenster.“
Ob dieser Daimleraner mit Grippeschutzimpfung wohl ahnt, wie sehr mir seine Worte noch immer im Kopf herum gehen?
Geht es im Alter darum, noch gebraucht zu werden? Eine spannende Idee. Vielleicht ist es aber auch wie beim Sinn des Lebens: Für jeden Menschen gibt es eindeutig einen Sinn des Lebens, aber eben individuell für jeden etwas eigenes. Die schwierige Aufgabe ist nun nur für uns, herauszufinden, was das jeweils ist! UND zu versuchen, entsprechend zu leben. Warum muss das alles bloß so schwierig sein?
Das Wartezimmer beim Arzt ist nun offensichtlich der neue Dorfplatz, der zentrale Treffpunkt für das Treffen der Generationen.
Und im Anschluss an meinen Arztbesuch schenkte mir meine Apothekerin gratis Fußcreme. FUSSCREME!! Zwei Packungen. ZWEI!! Was denkt die denn, wie alt ich bin? Oder steht das in ihren Akten und sie weiß es? Wo ist denn bitte der überbordente Datenschutz, wenn es um diskriminierende Fußcreme-Geschenke geht? Naja, vielleicht hat sie nach einem anstrengenden Apothekertag auch gedacht, der Alte hat zwei Füße, also mach‘ halt beiden eine Freude. Da stellt sich auch wieder die Frage, ob man sich eigentlich immer über solche „Geschenke“ freuen muss. Oder bei zwei Stück gleich doppelt freuen? Das bringt mich an meine Grenzen…
Als Ausgleich hat die gute Apothekerfrau die Hälfte meines digitalen Rezeptes dann verloren, gelöscht. Sie erzählte irgendwas davon, sie hätte doch das Fenster auf dem Computer nur ganz kurz in den Hintergrund geklickt… Das Ende vom Lied war, dass sie doch tatsächlich in den folgenden Tagen ein Ersatzrezept von meinem Arzt besorgen musste, weil sie mein Rezept so gründlich weggeklickt hatte, dass es nie wieder gefunden wurde. Und dann zwei Packungen Fußcreme… Gratis-Papier-Taschentücher wären ja noch okay gewesen.
Ich stellte fest, die gute Apothekerin ist alt. Richtig alt. Und unfunktionell. Wenn ich nicht auf sie angewiesen wäre, wäre es ja noch lustig. Aber ich denke, sie ist schlicht zu alt für Computer, für ihren Job, für die reale Welt.
Und dann bekomme ich bei meiner beständigen „Brautschau“ im Internet NUR alte, nette, Omis mit zerzausten grauen Haaren zu sehen, die sich angeblich für mich interessieren. Das kann doch nicht sein, die müssen doch beim Alter gelogen haben, die sind niemals in meinem Alter.
ICH habe noch volles, braunes Haar. So, wie ich in meinen Internetprofilen schreibe. Na klar schönt man sein Profil im Netz. Ein kleines Bisschen halt. Macht ja jeder. Nicht so, dass es auffällt. Nur so viel, um sich ein wenig besser darzustellen. Und mal ehrlich, mit den Haaren… Ist das jetzt so wichtig? Immerhin habe ich neulich noch ein paar braune Haare zwischen den Grauen gefunden. Ich schwöre! Man sieht sie jetzt vielleicht nicht sofort, aber sie SIND da! Neulich zumindest noch. Aber das ist kein Grund, mir jungem Kerl auf den Single-Portalen im Netz nur Omis vorzustellen. Was soll ich denn mit lauter alten Leuten?
Vor ein paar Monaten war ich bei unserem „40-Jahre-Abi“ Treffen. Die habe ich gleich am Treffpunkt erkannt. Da standen ganz viele grauhaarige, alte Leute. Und ich dachte mir gleich schlau: DAS ist unsere Gruppe, mit den ganzen grauhaarigen alten Lehrern drumrum… Na, ich mache es kurz, die Lehrer sind fast alle tot, wer von den Mitschülern die Haare nicht färbt – und überhaupt noch gelegentliches Resthaar vorweisen kann – ist grau mit einer Tendenz zu weiß… Aber immerhin sind nur wenige bisher von uns gegangen. Unfälle, Krebs, Infarkte… Ich hätte fast gesagt: das Übliche halt.
Und dann stand vor drei Wochen unvorbereitet die Todesanzeige eines Studienfreundes in der Zeitung. Mit ähnlichem Jahrgang. Im Spätsommer habe ich noch zum Geburtstag gratuliert… Multiorganversagen. So schnell geht das…
Es fällt mir schwer: Ich werde nicht alt. Ich BIN alt. Aber gefühlt doch noch so gar nicht. Da muss doch noch ganz viel kommen!
Ich spüre schon selber einen kalten Hauch, wenn ich denke, wer alles in diesem Jahr gegangen ist:
Robert Redford (Schauspieler/Regisseur) Ozzy Osbourne (Sänger, Black Sabbath) Jane Goodall (Primatologin) Gene Hackman (Schauspieler) Jimmy Cliff (Reggae-Musiker) Eddie Jordan (Ex-Formel-1-Teamchef) Rick Davies (Sänger, Supertramp) – habe ich in meiner Schulzeit geliebt Richard Chamberlain (Schauspieler) Diane Keaton (Schauspielerin) David Lynch (Regisseur) Horst Köhler (ehem. Bundespräsident) Nadja Abd el Farrag, Nadl, auch fast mein Jahrgang (TV-Persönlichkeit) (war sie nicht das junge Nacktschneckchen von Dieter Bohlen? Meine Güte, ich hätte doch Rockstar werden sollen, wie es der ursprüngliche Plan war! Rolf Becker (Schauspieler) Klaus Doldinger (Jazzmusiker) Ingrid van Bergen (Schauspielerin) Malte Pittner (Mitgründer Deichkind) Alice und Ellen Kessler (Entertainerinnen):
Mein Gott, ich bin schon SO alt, dass mir die Kessler Zwillinge noch etwas sagen! Und zugegeben, alles, was mich dazu beschäftigt, ist: Laut Presse haben die ja nun ein Gemeinschaftsgrab mit ihrem Hund durchgesetzt. WAR der Hund schon hinüber? Oder wie läuft das jetzt organisatorisch ab? Ich habe Fragen!
Und das alles gruselt mich langsam. Ich glaube, ich hätte jetzt gerne aufbauende Psychopharmaka, Herr Doktor! Schnell!
Na schön, therapeutische Glühgetränke tun’s vielleicht in der Not auch…
Weil ich gerade bei dem Thema bin:
Habt ihr, wie ich, der aktuellen Presse entnommen, dass es zunehmend Stimmen gibt, die eine Teillegalisierung von Kokain fordern? Leise rieselt der Schnee! Ich traue mich nicht, aktuell, mangels Hintergrundwissen, überhaupt eine Meinung zu diesem Thema zu haben. Da gibt es sicher viele Pros und Contras. Und ich denke, irgend einer Situation müssen Gedanken, wie die Freimaurerziege für die Tempelarbeiten im Logenkeller, ja auch entspringen.
Aber das nur nebenbei.
Am Logentag neulich fragte mich meine alte Mutter, ob ich Abends wieder Dienst hätte. Wenn ich mich schon so alt fühle, wie alt ist sie dann erst?
Ich bin innerlich kurz zusammengezuckt und hatte kurz das Gefühl von früher, wenn man seine Hausaufgaben in der Schulzeit zu machen vergessen hatte. Hatte ich meinen Dienstantritt verschlafen? Welcher Dienst überhaupt?
Dienst für’s Vaterland an der Waffe? Was für schreckliche Zeiten da kommen…
Dienst an der Waffel beim Küchendienst? Hört sich schon eher nach mir an.
Und habe ich gerade einen Schlaganfall oder einen bösen Traum? Oder hat meine betagte Mutter einen Schlaganfall? Dienst??
Ach so – sie meinte, ob ich wieder in die Loge muss, zum Freimaurer-Dienst! So wie sie sich das denkt: Ziege im Keller füttern, Lehrlinge unterweisen, mit dem Bürgermeister einen Schnaps trinken… So eben.
Eigentlich doch ein charmanter Gedanke. Regelmäßig zum Treffen mit den Freimaurerbrüdern, zum Dienst an der Geistesentwicklung. So lange in meinem langsam weißhaarigen Schädel noch ein entwicklungsfähiger Geist nachweisbar ist! Nicht, weil ich heute mal Lust zum Tagesthema habe, oder die richtigen Logenfreunde gesagt haben, dass sie heute auch dabei sein werden. Sondern, weil eben Logentag ist, an dem wir uns eben immer treffen. Vielleicht werde ich nicht nur alt, sondern auch ein „Freumaurer“ !
Der bevorstehende Jahreswechsel ist dabei nun eine Einladung, die Welt mit neuen Augen zu sehen – nicht naiv, sondern vielleicht mit der Erkenntnis, dass jeder Tag auch eine neue Chance ist, das Leben zu gestalten und zu genießen.
Der Übergang von einem Jahr zum nächsten ist ja irgendwie mehr als ein kalendarisches Ereignis; er ist eine kollektive Atempause. Wenn am Silvesterabend die Uhren auf Mitternacht zusteuern, entsteht für einen flüchtigen Moment ein Niemandsland zwischen dem „Noch-Nicht“ und dem „Nicht-Mehr“.
In unserer schnelllebigen Zeit neigen wir dazu, das alte Jahr wie ein gelesenes Buch schnell ins Regal zurück zu stellen. Doch Besinnlichkeit erfordert eigentlich doch das Verweilen. Ein ehrlicher Rückblick sollte doch keine reine Inventur der Erfolge sein, sondern eine Würdigung der gelebten Zeit. Es geht um die leisen Momente: Das Licht an einem schönen Morgen, ein liebevolles oder tröstendes Wort in einer schwierigen Zeit oder ein unerwartetes Lachen, ein inspirierendes Logengespräch... Solche Fragmente bilden das Mosaik des Lebens, weit mehr als nur die ganz großen Meilensteine.
Der Jahresbeginn bietet regelrecht ein Tor von Möglichkeiten: Eine Gelegenheit, vielleicht bewusster zu leben, Zeit sinnvoll zu nutzen, vielleicht angepasste Ziele zu finden oder Demut und auch Zuversicht zu üben.
So ein neues Jahr ist ja ein wenig wie ein Buch: Das alte Jahr sind die bereits gelesenen Seiten – mit ihren Höhen und Tiefen. Der Jahreswechsel ist das Umblättern zur nächsten leeren Seite, die darauf wartet, gefüllt zu werden, gefüllt mit neuen Gedanken und Geschichten, die wir selbst schreiben, inspiriert von dem, was wir gelernt haben. Es geht hier auch darum, die "Stille" des Moments zu nutzen, um die "Haltung" für ein erfüllteres Leben zu finden.
Wofür bin ich in diesem Jahr dankbar? Welche Herausforderungen haben mich stärker gemacht? Was möchte ich im neuen Jahr vielleicht auch bewusster erleben? Welche guten Vorsätze möchte ich umsetzen?
Es ist verlockend, alles sofort mit Vorsätzen und Plänen zu füllen. Doch vielleicht liegt der Zauber des Anfangs gerade darin, auch das Unbekannte zuzulassen. Hoffnung ist dabei kein naiver Optimismus, sondern die Entscheidung, dem Leben trotz aller Unsicherheiten möglichst auch mit Vertrauen zu begegnen.
Wenn wir also das neue Jahr begrüßen, sollten wir uns nicht nur Gesundheit und Glück wünschen. Natürlich auch, ihr wisst ja, wie gut auch gerade ich Gesundheit und Glück gebrauchen kann! Aber wünschen wir uns vor allem auch Gegenwart. Die Fähigkeit, im Moment zu verweilen, die kleinen Wunder am Rand unseres Weges wahrzunehmen und aber auch, mit uns selbst geduldig zu sein. Der Jahreswechsel erinnert uns doch daran, dass eben jeder Tag die Möglichkeit eines Neuanfangs in sich trägt.
Und ich sage mir aber auch, ein Loslassen ist zum Wechsel der Jahre gut: Was möchten wir hinter uns lassen? Sorgen, unerfüllte Erwartungen, vielleicht auch den Drang, immer perfekt sein zu müssen oder zu wollen?
So ein Jahreswechsel trifft uns oft wie ein gut gemeinter Ernährungstipp: Wir wollen weniger Süßes, Leeres, dafür mehr Sinn. Wir möchten weniger Nachrichten mit “Dringend!” in der Betreffzeile, dafür mehr Zeit für die Dinge, die für uns wirklich zählen. Doch jeder Eintrag im Kalender erinnert doch auch daran, dass Kontrolle schlicht eine Illusion ist — und der Plan, alles in eine perfekte Richtung zu lenken, nun mal zu oft in einem improvisierten, oft unsicheren Tanz endet.
Und: Karma is a Bitch, Baby!
Um nun aber dem Bildungsauftrag auch gerecht zu werden, möchte ich noch ein wunderbares, kleines Gedicht anfügen (alleine schon im vergeblichen Versuch, diesem kleinen Vortrag doch noch eine intellektuelle Note anzudichten):
Noch ein kleiner Fußtritt, und das alte böse Jahr rollt hinunter in den Abgrund der Zeit. […]
Das neue steht vor der Türe. Möge es minder grausam sein als sein Vorgänger!
Ich sende meinen wehmütigsten Glückwunsch zum Neujahr über den Rhein.
Ich wünsche den Dummen ein bisschen Verstand und den Verständigen ein bisschen Poesie.
Den Frauen wünsche ich die schönsten Kleider und den Männern sehr viel Geduld.
Den Reichen wünsche ich ein Herz und den Armen ein Stückchen Brot.
Vor allem aber wünsche ich, dass wir in diesem neuen Jahr einander sowenig als möglich verleumden mögen.
(Heinrich Heine; Lutetia – Zweiter Teil; Paris, 31. Dezember 1842)
Das scheint mir in Trump-Zeiten wieder so passend…
Wir leben wohl in herausfordernde Zeiten, denken wir nur an Russland, Trump, Krieg oder ganz nah: unsere Gesundheitsversorgung. Natürlich erleben da viele von uns Unsicherheit oder Sorgen. Dabei vergessen wir aber leicht, in was für privilegierten Zeiten wir in Wahrheit gerade leben. Wenn man auch nur ein wenig zurück schaut, sah das Leben noch ganz anders aus:
So lag zum Beispiel die Lebenserwartung um 1820 bei 26 Jahren, nun liegt sie bei 76 Jahren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fielen der Kindersterblichkeit etwa 20% der neugeborenen Kinder während ihres ersten Lebensjahres zum Opfer, heute sind es unter 1%.
Ebenso waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum 10% der über 15 Jahren alten Bevölkerung alphabetisiert, heute sind es 85%. 1820 gingen weniger als 10% der Weltbevölkerung in die Grundschule, 2020 besuchten mehr als die Hälfte der jungen Generationen der reichen Länder die Grundschule. (Thomas Piketty: “Eine kurze Geschichte der Gleichheit”)
Wir leben heute im Schnitt 3 mal länger als zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dürfen lesen, schreiben und uns bilden.
Was für ein Geschenk! Vielleicht ist uns ein wenig der Schlüssel abhanden gekommen:
Dankbarkeit und Demut!
Aber das nur kurz erwähnt, denn das soll bei anderer Gelegenheit ausführlich mein Thema sein. Wenn ich Zeit hatte mich zu erholen, von der besinnlichen Zeit. Mir mehr Gedanken machen konnte. Und vor allem wieder nüchterner bin. Und auch der Glühweinnachschub nicht so lecker duftet und lautstark nach mir ruft!
Aber wenn ich schon die Gelegenheit habe, euch freimaurerisch eine kleine, euch den Weg im nächsten Jahr noch nachhaltig ein wenig verstellende, entscheidende Lebensweisheit mitzugeben, noch dies:
Von mir, mit Liebe, für euch:
Einfach mal zugeben, dass der Andere im Unrecht ist. Das muss man auch können!
Ich wünsche allen ein gutes, möglichst gesundes, schönes, nein: tolles, neues Jahr!
Darunter machen wir's nicht.
Ich freue mich auf schöne Treffen mit euch.
Live long and prosper (um auch noch etwas kosmisch und wahrlich kosmopolitisch zu werden)!
Es geschehe also! - Happy new Year!
Siehe auch
- Fake-News, Verschwörungstheorien, Querdenker und der mögliche Umgang damit - Mehr denn je begegnen uns Fake-News, Verschwörungstheorien und Querdenker. Das Ergebnis einer Literatur-Recherche zu den Hintergründen und möglichen Umgangsweisen damit zeigt dieser ausführliche Vortrag.
- Traktat: "Auswahl bemerkenswerter Freimaurer" - Berühmte, bekannte, bemerkenswerte - und manchmal auch berüchtigte – Freimaurer: Namen, Verbreitung & Wirken.
- Angewandte Freimaurersymbolik & -lehre im realen Leben - Eine der wesentlichen Bestandteile der modernen Freimaurerei sind Symbole. Symbole erreichen Menschen auf einer emotionalen Ebene, wo der reine Verstand nicht hinlangt - Menschen sind schließlich immer Ratio und Emotion.
- Weitere Traktate unter Kategorie:Traktate

