Geschichte des österreichischen LE DROIT HUMAIN (DHÖ): Unterschied zwischen den Versionen

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== Neueste Forschungsergebnisse der beiden DHÖ-Schwestern Lisa Fischer und Susanne Thomasberger (2025) ==
== Neueste Forschungsergebnisse der beiden DHÖ-Schwestern Lisa Fischer und Susanne Thomasberger (2025) ==


➤ '''Einleitung von [[Rudi Rabe]]:''' Sowohl der Größe nach als auch historisch ist der Droit Humain in Österreich nach der Großloge von Österreich das zweite wichtige Freimaurersystem; in der Freimaurersprache: die zweite „Obödienz“. Der in Frankreich in den 1893 entstandene DROIT HUMAIN (deutsch: Menschenrecht) bekennt sich zur Idee der Co-Freimaurerei (= gemischte Freimaurerei); er nimmt also Frauen und Männer auf. In Österreich wurde die erste DH-Loge 1922 gegründet. Und so konnte der DHÖ im Jahr 2022 seinen hundertsten Geburtstag feiern: [[22. Oktober 2022: 100 Jahre «Le Droit Humain Österreich»|hier]].   
➤ '''Einleitung von [[Rudi Rabe]]:''' Sowohl der Größe nach als auch historisch ist der Droit Humain in Österreich nach der Großloge von Österreich das zweite wichtige Freimaurersystem; in der Freimaurersprache: die zweite „Obödienz“. Der in Frankreich 1893 entstandene DROIT HUMAIN (deutsch: Menschenrecht) bekennt sich zur Idee der Co-Freimaurerei (= gemischte Freimaurerei); er nimmt also Frauen und Männer auf. In Österreich wurde die erste DH-Loge 1922 gegründet. Und so konnte der DHÖ im Jahr 2022 seinen hundertsten Geburtstag feiern: [[22. Oktober 2022: 100 Jahre «Le Droit Humain Österreich»|hier]].   


Nach diesem Fest haben DHÖ-Schwestern eine interne Werkstätte samt digitalisiertem Archiv zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte des DHÖ eingerichtet. Deren Leiterin Susanne Thomasberger berichtet: „Durch diese Forschung entstand ein neues Geschichtsbild des DHÖ, vor allem auch zur Frage, wer denn die frühen Mitglieder waren. Ähnlich wie in der (männlichen) „Großloge von Wien“ waren es vor allem gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die sich für Bildung, Sozialreformen, Zivilgesellschaft, Pazifismus, Gleichberechtigung etc. einsetzten und die Freimaurerei in diesem Kontext verstanden. Das zeigt uns historisches Material aus der Zwischenkriegszeit, das wir jetzt erstmals finden konnten: über 700 Briefe, Mitgliederlisten und Karteikarten, Jahresberichte, Protokolle und Nachrichtenblätter der österreichischen Logen und vieles mehr. Auf Basis der neuen Quellenlage erarbeiteten vor allem Lisa Fischer und ich mit Hilfe weiterer Geschwister der Forschungswerkstätte detaillierte Biographien unserer damaligen Geschwister, deren Lebensgeschichten ein sehr komplexes und beeindruckendes Geschichtsbild zeigen. Der vom Freimaurer-Wiki wiedergegebene und von uns autorisierte Text ist nun die ‚neue‘ und ‚offizielle‘ Erzählung unserer Geschichte“.  
Nach diesem Fest haben DHÖ-Schwestern eine interne Werkstätte samt digitalisiertem Archiv zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte des DHÖ eingerichtet. Deren Leiterin Susanne Thomasberger berichtet: ''„Durch diese Forschung entstand ein neues Geschichtsbild des DHÖ, vor allem auch zur Frage, wer denn die frühen Mitglieder waren. Ähnlich wie in der (männlichen) „Großloge von Wien“ waren es vor allem gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die sich für Bildung, Sozialreformen, Zivilgesellschaft, Pazifismus, Gleichberechtigung etc. einsetzten und die Freimaurerei in diesem Kontext verstanden. Das zeigt uns historisches Material aus der Zwischenkriegszeit, das wir jetzt erstmals finden konnten: über 700 Briefe, Mitgliederlisten und Karteikarten, Jahresberichte, Protokolle und Nachrichtenblätter der österreichischen Logen und vieles mehr. Auf Basis der neuen Quellenlage erarbeiteten vor allem Lisa Fischer und ich mit Hilfe weiterer Geschwister der Forschungswerkstätte detaillierte Biographien unserer damaligen Geschwister, deren Lebensgeschichten ein sehr komplexes und beeindruckendes Geschichtsbild zeigen. Der vom Freimaurer-Wiki wiedergegebene und von uns autorisierte Text ist nun die ‚neue‘ und ‚offizielle‘ Erzählung unserer Geschichte“.''  




[[Bild:DH-Gründungspatent.jpg|thumb|800px|center|Das historische Patent zur Gründung des Internationalen Droit Humain in Paris (1894) mit Unterschriften von Maria Deraismes, Georges Martin u.a.]]
[[Bild:DH-Gründungspatent.jpg|thumb|800px|center|Das historische Patent zur Gründung des Internationalen Droit Humain in Paris (1893) mit Unterschriften von Maria Deraismes, Georges Martin u.a.]]
 


== Freiheit - Gleichheit - Geschwisterlichkeit: 
Freimaurerei als Ideen- und Kulturgeschichte im Le Droit Humain ==
== Freiheit - Gleichheit - Geschwisterlichkeit: 
Freimaurerei als Ideen- und Kulturgeschichte im Le Droit Humain ==
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===🌿 Die Ursprünge einer Reformbewegung im 18. Jahrhundert===


'''🌿 Die Ursprünge einer Reformbewegung im 18. Jahrhundert'''
Die Entstehungsgeschichte der zunächst nur männlichen Freimaurerei verlief in der Habsburgermonarchie ganz im Trend der Zeit. Seit in London im Jahre 1717 eine Großloge entstanden war, breitete sich die Idee mit ihren aufklärerischen Grundlagen von Freiheit, Toleranz und Humanität schnell über Europa und nach Amerika aus. 1733 entstand in Hamburg die erste deutsche Loge, 1742 jene in Wien. Friedrich der Große wurde bereits 1738 als Kronprinz in Braunschweig zum Logenbruder. Die 1740 in Berlin gegründete Loge „Aux Trois Globes“ - „Zu den drei Weltkugeln“ - stand unter seiner Patronanz was dem Bund in Deutschland insgesamt zu einem Aufschwung verhalf. Ihre Mitglieder wurden bald wichtige Träger eines überregionalen Wertesystems und internationalen Netzwerks. Auch Franz Stephan von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias, war schon 1731 für den Bund gewonnen worden. Die Herrscherin des Habsburgerreiches umgab sich trotz ihrer Skepsis mit zahlreichen freimaurerischen Beratern. So war ihr Leibarzt Gerard van Swieten treibende Kraft für die Reform des Gesundheitswesens, Tobias von Gebler und Johann Melchior von Birkenstock reformierten das Schulwesen. Joseph von Sonnenfels zeichnete sich durch die Abschaffung der Folter aus und Ignaz von Born, wesentlicher Denker der österreichischen Aufklärung, schuf durch seine Katalogisierung die Voraussetzung für das Naturhistorische Museum. Als wichtigster Fürsprecher der Freimauerei fand sich ihr Schwiegersohn Albert von Sachsen-Teschen, der Gründer der größten Kupferstichsammlung Europas, der Wiener Albertina.<ref> Vgl. dazu: Lisa Fischer, Eden hinter den Wäldern. Samuel von Brukenthal: Politiker, Sammler, Freimaurer in Hermannstadt/Sibiu, Wien 2007.</ref>


Die Entstehungsgeschichte der zunächst nur männlichen Freimaurerei verlief in der Habsburgermonarchie ganz im Trend der Zeit. Seit in London im Jahre 1717 eine Großloge entstanden war, breitete sich die Idee mit ihren aufklärerischen Grundlagen von Freiheit, Toleranz und Humanität schnell über Europa und nach Amerika aus. 1733 entstand in Hamburg die erste deutsche Loge, 1742 jene in Wien. Friedrich der Große wurde bereits 1738 als Kronprinz in Braunschweig zum Logenbruder. Die 1740 in Berlin gegründete Loge „Aux Trois Globes“ - „Zu den drei Weltkugeln“ - stand unter seiner Patronanz was dem Bund in Deutschland insgesamt zu einem Aufschwung verhalf. Ihre Mitglieder wurden bald wichtige Träger eines überregionalen Wertesystems und internationalen Netzwerks. Auch Franz Stephan von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias, war schon 1731 für den Bund gewonnen worden. Die Herrscherin des Habsburgerreiches umgab sich trotz ihrer Skepsis mit zahlreichen freimaurerischen Beratern. So war ihr Leibarzt Gerard van Swieten treibende Kraft für die Reform des Gesundheitswesens, Tobias von Gebler und Johann Melchior von Birkenstock reformierten das Schulwesen. Joseph von Sonnenfels zeichnete sich durch die Abschaffung der Folter aus und Ignaz von Born, wesentlicher Denker der österreichischen Aufklärung, schuf durch seine Katalogisierung die Voraussetzung für das Naturhistorische Museum. Als wichtigster Fürsprecher der Freimauerei fand sich ihr Schwiegersohn Albert von Sachsen-Teschen, der Gründer der größten Kupferstichsammlung Europas, der Wiener Albertina.


In den vierzig Jahren der Herrschaft von Maria Theresia war die Freimaurerei zwar durch eine herrschaftliche Verfügung untersagt, gleichzeitig aber grundsätzlich geduldet worden. Dadurch kam es bis zu ihrem endgültigen Verbot 1795 im 18. Jahrhundert zu Blütezeit der „Königlichen Kunst“. Ihre theoretischen Gedanken bildeten sich im breit gefächerten Reformprogramm der Herrscherin ab, denn sie basierten auf bestimmten Werthaltungen. Die Versatzstücke ihres Tugendkanons schöpften aus der antiken Mythologie, dem Christentum, der Gnosis und aus ägyptischen Mysterienkulten. Die Mitgliedschaft glich einem Erkenntnisweg, der über drei wesentliche Stufen vom Lehrling über den Gesellen und schließlich zum Meister führte. Die Brüder zahlten nicht nur eine Aufnahmegebühr, sondern waren zu finanziellen Beiträgen verpflichtet. Die Zugehörigkeit musste man sich also leisten können. Man traf sich in so genannten Logen bei denen mittels Rituals ein Erfahrungshorizont zur Verinnerlichung der Tugenden von Gleichheit und sozialem Engagement geschaffen wurde. Vom individuellen Arbeiten führte der Weg direkt in die Tat und damit zur gesellschaftlichen Anwendung des humanitären Auftrages.  
In den vierzig Jahren der Herrschaft von Maria Theresia war die Freimaurerei zwar durch eine herrschaftliche Verfügung untersagt, gleichzeitig aber grundsätzlich geduldet worden. Dadurch kam es bis zu ihrem endgültigen Verbot 1795 im 18. Jahrhundert zu Blütezeit der „Königlichen Kunst“. Ihre theoretischen Gedanken bildeten sich im breit gefächerten Reformprogramm der Herrscherin ab, denn sie basierten auf bestimmten Werthaltungen. Die Versatzstücke ihres Tugendkanons schöpften aus der antiken Mythologie, dem Christentum, der Gnosis und aus ägyptischen Mysterienkulten. Die Mitgliedschaft glich einem Erkenntnisweg, der über drei wesentliche Stufen vom Lehrling über den Gesellen und schließlich zum Meister führte. Die Brüder zahlten nicht nur eine Aufnahmegebühr, sondern waren zu finanziellen Beiträgen verpflichtet. Die Zugehörigkeit musste man sich also leisten können. Man traf sich in so genannten Logen bei denen mittels Rituals ein Erfahrungshorizont zur Verinnerlichung der Tugenden von Gleichheit und sozialem Engagement geschaffen wurde. Vom individuellen Arbeiten führte der Weg direkt in die Tat und damit zur gesellschaftlichen Anwendung des humanitären Auftrages.  


'''🌿 Weisheit – Stärke – Schönheit'''
===🌿 Weisheit – Stärke – Schönheit===


Erkennen und Selbsterkennen sollten mittels Gerechtigkeit, Tugendhaftigkeit, Redlichkeit und Nützlichkeit zur Vervollkommnung von Gedanken und Taten führen. Der durch Wissenschaften aufgeklärte Verstand wollte schlussendlich allgemeine Freiheit ermöglichen. Gleichzeitig beruhte das Verständnis von Freiheit auf der Unabhängigkeit von der Sklaverei der Sinne. Die Leidenschaften waren in Verruf geraten und daher nur in kontrollierbarem Rahmen geduldet, wie bei Feiern und Festtafeln. Die Schönheit war schließlich neben Weisheit und Stärke eine der drei Säulen auf denen der metaphorisch gedachte Tempel der Humanität gebaut wurde. Die Brüder suchten äußere und innere Welten in Harmonie miteinander zu bringen und zu halten. Schönheit war nicht nur eine ästhetische Kategorie, sondern die gelungene Balance zwischen Verstand und Herz, bei der gegenseitige Toleranz und Liebe eine Grundvoraussetzung darstellten. Der Freundschaftsbund verstand sich derart als Mittel, um zur Weltweisheit zu gelangen. Er verfolgte demnach hohe ethische Ansprüche nach denen die ganze Welt als eine Republik angesehen wurde.  
Erkennen und Selbsterkennen sollten mittels Gerechtigkeit, Tugendhaftigkeit, Redlichkeit und Nützlichkeit zur Vervollkommnung von Gedanken und Taten führen. Der durch Wissenschaften aufgeklärte Verstand wollte schlussendlich allgemeine Freiheit ermöglichen. Gleichzeitig beruhte das Verständnis von Freiheit auf der Unabhängigkeit von der Sklaverei der Sinne. Die Leidenschaften waren in Verruf geraten und daher nur in kontrollierbarem Rahmen geduldet, wie bei Feiern und Festtafeln. Die Schönheit war schließlich neben Weisheit und Stärke eine der drei Säulen auf denen der metaphorisch gedachte Tempel der Humanität gebaut wurde. Die Brüder suchten äußere und innere Welten in Harmonie miteinander zu bringen und zu halten. Schönheit war nicht nur eine ästhetische Kategorie, sondern die gelungene Balance zwischen Verstand und Herz, bei der gegenseitige Toleranz und Liebe eine Grundvoraussetzung darstellten. Der Freundschaftsbund verstand sich derart als Mittel, um zur Weltweisheit zu gelangen. Er verfolgte demnach hohe ethische Ansprüche nach denen die ganze Welt als eine Republik angesehen wurde.  
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Wegen ihrer religiösen Toleranz von der Kirche verfolgt und von staatlicher Seite auch immer wieder wegen des postulierten Gleichheitsprinzips per Gesetz verboten, sahen sich die Brüder dennoch als wertvolle Stützen des Staates. Die Anerkennung einer höheren Instanz des Lichts, eines transzendenten Baumeisters aller Welten, bot die Möglichkeit, ihm jenen Tempelbau zu widmen, an dessen Errichtung sich die Brüder auf Erden beteiligten. Die gemeinsame Arbeit diente der Ehre Gottes, der Wohlfahrt der Menschen und der eigenen Gemütsruhe. Diese wiederum bot die Grundlage für einen gesunden Körper. Bruderliebe und Menschenfreundschaft waren jene Säulen, die die Tragfähigkeit der symbolisch gedachten Tempelmauern herstellen sollten. Die Arbeit an sich und das tugendhafte Wirken in der Gesellschaft wurden dabei durchaus als Vorbild für die Politik und ihre Vertreter verstanden. Der Tod stellte in diesem Gedankengebäude keine Bedrohung, sondern nur eine Schwelle dar, über die die derart Eingeweihten vom weltlichen Tempel in den himmlischen hinüber schritten.  
Wegen ihrer religiösen Toleranz von der Kirche verfolgt und von staatlicher Seite auch immer wieder wegen des postulierten Gleichheitsprinzips per Gesetz verboten, sahen sich die Brüder dennoch als wertvolle Stützen des Staates. Die Anerkennung einer höheren Instanz des Lichts, eines transzendenten Baumeisters aller Welten, bot die Möglichkeit, ihm jenen Tempelbau zu widmen, an dessen Errichtung sich die Brüder auf Erden beteiligten. Die gemeinsame Arbeit diente der Ehre Gottes, der Wohlfahrt der Menschen und der eigenen Gemütsruhe. Diese wiederum bot die Grundlage für einen gesunden Körper. Bruderliebe und Menschenfreundschaft waren jene Säulen, die die Tragfähigkeit der symbolisch gedachten Tempelmauern herstellen sollten. Die Arbeit an sich und das tugendhafte Wirken in der Gesellschaft wurden dabei durchaus als Vorbild für die Politik und ihre Vertreter verstanden. Der Tod stellte in diesem Gedankengebäude keine Bedrohung, sondern nur eine Schwelle dar, über die die derart Eingeweihten vom weltlichen Tempel in den himmlischen hinüber schritten.  


'''🌿 Vorformen der Zivilgesellschaft'''
===🌿 Vorformen der Zivilgesellschaft===


Der öffentliche Raum in Form von Lokalen oder Caféhäusern war im 18. Jahrhundert noch unzureichend ausgebildet. Die Loge bot daher einen idealen Sozialraum, der als Vorform in der Entwicklungsgeschichte der Vereine im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle spielen sollte. Die Freimaurerei zeigte im 18. Jahrhundert keine in sich geschlossene Einheit. Während die Einen den Stein der Weisen durchaus in den alchimistischen Experimentierwerkstätten der Goldmacherei suchten, versuchten andere mit Hilfe der rationalen Vernunft die Welt zu erklären und die Geister des Aberglaubens zu vertreiben. Innere Zersplitterung des Ordens und Fehlverhalten einzelner Mitglieder machten ihn zu einer nicht unumstrittenen Bewegung. Innerhalb dieser Geheimgesellschaften existierten zahlreiche Gruppierungen wie die traditionsbezogenen Rosenkreuzer, die betont fortschrittsfreudigen Illuminaten oder die spirituellen Asiatischen Brüder. So standen in diesen Agenturen der Aufklärung alchimistischer Mystizismus oder rationale Wissenschaftsfreude, tempelritterliche Herrschaftsgelüste und elitäre Auserwähltheitsansprüche dicht neben dem Gleichheitspostulat. Frauen schloss man trotz des theoretischen Egalitätsprinzips mit wenigen Ausnahmen von einer Mitgliedschaft im Männerbund aus. So gab es beispielsweise im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts so genannte Adoptionslogen. Sie standen unter der Oberhoheit der männlichen Logen und beeinflussten Wolfgang Amadeus Mozart. Die humanistische Vision einer paritätischen Geschlechteraufteilung versuchte er in seiner Oper Die Zauberflöte darzustellen. Die Adoptionslogen arbeiteten mit eigenen Ritualen und Zeremonien, die erhalten sind und die der leidenschaftliche Freimaurer Mozart auch kannte. Er selbst plante sogar die Errichtung einer gemischten Loge in Wien. Trotz dieser Ausnahmen hatte das Licht der Aufklärung bei weitem noch nicht die letzten Winkel dunkler Vorurteile erreicht und die Vernunft machte dort Halt, wo es um die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen ging. Die Dialektik der Aufklärung war allgegenwärtig.
Der öffentliche Raum in Form von Lokalen oder Caféhäusern war im 18. Jahrhundert noch unzureichend ausgebildet. Die Loge bot daher einen idealen Sozialraum, der als Vorform in der Entwicklungsgeschichte der Vereine im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle spielen sollte. Die Freimaurerei zeigte im 18. Jahrhundert keine in sich geschlossene Einheit. Während die Einen den Stein der Weisen durchaus in den alchimistischen Experimentierwerkstätten der Goldmacherei suchten, versuchten andere mit Hilfe der rationalen Vernunft die Welt zu erklären und die Geister des Aberglaubens zu vertreiben. Innere Zersplitterung des Ordens und Fehlverhalten einzelner Mitglieder machten ihn zu einer nicht unumstrittenen Bewegung. Innerhalb dieser Geheimgesellschaften existierten zahlreiche Gruppierungen wie die traditionsbezogenen Rosenkreuzer, die betont fortschrittsfreudigen Illuminaten oder die spirituellen Asiatischen Brüder. So standen in diesen Agenturen der Aufklärung alchimistischer Mystizismus oder rationale Wissenschaftsfreude, tempelritterliche Herrschaftsgelüste und elitäre Auserwähltheitsansprüche dicht neben dem Gleichheitspostulat. Frauen schloss man trotz des theoretischen Egalitätsprinzips mit wenigen Ausnahmen von einer Mitgliedschaft im Männerbund aus. So gab es beispielsweise im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts so genannte Adoptionslogen. Sie standen unter der Oberhoheit der männlichen Logen und beeinflussten Wolfgang Amadeus Mozart. Die humanistische Vision einer paritätischen Geschlechteraufteilung versuchte er in seiner Oper Die Zauberflöte darzustellen. Die Adoptionslogen arbeiteten mit eigenen Ritualen<ref> Friedrich Gottschalk, Eine Wiener Freimaurerhandschrift aus dem 18. Jahrhundert von Br. Josef Bauernjöpel, Graz 1986.</ref> und Zeremonien, die erhalten sind und die der leidenschaftliche Freimaurer Mozart auch kannte. Er selbst plante sogar die Errichtung einer gemischten Loge in Wien.<ref>Constanze Mozart, Brief an Breitkopf & Härtel, Leipzig vom 27.11.1799 und vom 21.7.1800, DTV Kassel 2005.</ref>
Trotz dieser Ausnahmen hatte das Licht der Aufklärung bei weitem noch nicht die letzten Winkel dunkler Vorurteile erreicht und die Vernunft machte dort Halt, wo es um die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen ging. Die Dialektik der Aufklärung war allgegenwärtig.


Nach dem Verbot von 1795 entstanden in der Habsburgermonarchie erst ab 1869 wieder Logen. Durch ein liberales Vereinsgesetz begründet fand man sie daher nur im ungarischen Teil – in Preßburg, Ödenburg und Neudörfl. Die mehr als 7.000 Mitglieder trafen sich bis 1918 in 102 Logen. Der Eintritt war erneut nur Männern gestattet. Als wesentliche Grundlage der Freimaurerei galt es auch nun durch Bildung, Wissenschaft, Kunst und humanitäres Engagement zu einer allgemeinen Verbesserung von Politik und Gesellschaft beizutragen.
Nach dem Verbot von 1795 entstanden in der Habsburgermonarchie erst ab 1869 wieder Logen. Durch ein liberales Vereinsgesetz begründet fand man sie daher nur im ungarischen Teil – in Preßburg, Ödenburg und Neudörfl. Die mehr als 7.000 Mitglieder trafen sich bis 1918 in 102 Logen.<ref>Marcus G. Patka, Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich 1869-1938, Wien 2011, S. 43.</ref>
Der Eintritt war erneut nur Männern gestattet. Als wesentliche Grundlage der Freimaurerei galt es auch nun durch Bildung, Wissenschaft, Kunst und humanitäres Engagement zu einer allgemeinen Verbesserung von Politik und Gesellschaft beizutragen.


'''🌿 Die Gemischte Freimaurerei - Le Droit Humain'''
===🌿 Die Gemischte Freimaurerei - Le Droit Humain===
[[Datei:Marie Deraimes C.jpg|thumb|350px|Marie Deraismes]]
[[Datei:Marie Deraimes C.jpg|thumb|350px|Marie Deraismes]]
[[Datei:Georges Martin C.jpg|thumb|350px|Georges Martin]]
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Die 1848er Revolutionen hatten, besonders in Frankreich, auch zu Veränderungen in der Freimaurerei geführt. Die Ideale der französischen Revolution, Liberté, Égalité, Fraternité gewannen an Bedeutung. Ideen der sozialen Gerechtigkeit fanden kämpferisch Einzug in die freimaurerischen Rituale, der Laizismus folgte bald darauf.  Es entstand die Grande Lodge Symbolique Ecossaise de France, deren Mitbegründer Georges Martin war. Als Maria Deraismes in seiner Loge als erste und einzige Frau aufgenommen wurde, formulierte sie diesen revolutionären Schritt in einer Rede:
Die 1848er Revolutionen hatten, besonders in Frankreich, auch zu Veränderungen in der Freimaurerei geführt. Die Ideale der französischen Revolution, Liberté, Égalité, Fraternité gewannen an Bedeutung. Ideen der sozialen Gerechtigkeit fanden kämpferisch Einzug in die freimaurerischen Rituale, der Laizismus folgte bald darauf.  Es entstand die Grande Lodge Symbolique Ecossaise de France, deren Mitbegründer Georges Martin war. Als Maria Deraismes in seiner Loge als erste und einzige Frau aufgenommen wurde, formulierte sie diesen revolutionären Schritt in einer Rede:
   
   
:''„Die Freimaurerei ist eine Vereinigung mit universellem und säkularem Charakter. Die Freimaurerei, der Feind des Aberglaubens und des Irrtums, ist der natürliche Widersacher der Kirche. Durch einen seltsamen Widerspruch folgt die Freimaurerei jedoch, was die Frauen betrifft, den Irrwegen des Katholizismus.“''  
:''„Die Freimaurerei ist eine Vereinigung mit universellem und säkularem Charakter. Die Freimaurerei, der Feind des Aberglaubens und des Irrtums, ist der natürliche Widersacher der Kirche. Durch einen seltsamen Widerspruch folgt die Freimaurerei jedoch, was die Frauen betrifft, den Irrwegen des Katholizismus.“''<ref>Rede von Maria Deraismes nach ihrer Aufnahme 1882, Bulletin International des Le Droit Humain No2 1895, Archiv Le Droit Humain Paris.</ref>
 
Nachdem die Loge Les Libres Penseurs 1884 dem Druck ihrer Großloge nachgegeben hatte und die Regularität der Aufnahme von Frauen wieder in Frage stellte, fand sich Maria Deraismes zwar als Freimaurerin jedoch ohne Loge. Georges Martin beschrieb unter dem Titel Recht der Frauen ein Projekt zur Gründung einer gemischten Loge. Am 4. April 1893, elf Jahre nach der Aufnahme von Maria Deraismes in eine Freimaurerloge, gründete sie mit 16 Frauen - alles engagierte Feministinnen, Pädagoginnen, Wissenschaftlerinnen, Pazifistinnen, Sozialistinnen und Revolutionärinnen - unter der wertvollen Mithilfe von Georges Martin die erste gleichberechtigt gemischtgeschlechtlich arbeitende Freimaurerobödienz, die Grande Loge Symbolique Ecossaise Mixte de France LE DROIT HUMAIN.           
Nachdem die Loge Les Libres Penseurs 1884 dem Druck ihrer Großloge nachgegeben hatte und die Regularität der Aufnahme von Frauen wieder in Frage stellte, fand sich Maria Deraismes zwar als Freimaurerin jedoch ohne Loge. Georges Martin beschrieb unter dem Titel Recht der Frauen ein Projekt zur Gründung einer gemischten Loge. Am 4. April 1893, elf Jahre nach der Aufnahme von Maria Deraismes in eine Freimaurerloge, gründete sie mit 16 Frauen - alles engagierte Feministinnen, Pädagoginnen, Wissenschaftlerinnen, Pazifistinnen, Sozialistinnen und Revolutionärinnen - unter der wertvollen Mithilfe von Georges Martin die erste gleichberechtigt gemischtgeschlechtlich arbeitende Freimaurerobödienz, die Grande Loge Symbolique Ecossaise Mixte de France LE DROIT HUMAIN.           


'''🌿 Frauen und der Weg zur Geschlechterdemokratie'''
===🌿 Frauen und der Weg zur Geschlechterdemokratie===


Für die freimaurerischen Zusammenkünfte bearbeitete Georges Martin die Rituale des Alten Angenommenen Schottischen Ritus kurz AASR im Sinne der Grundprinzipien von Gendergerechtigkeit, Laizität und sozialem Auftrag. Er betonte die gesellschaftspolitische Verantwortung jedes einzelnen Freimaurers und jeder einzelnen Freimaurerin sowie die Verpflichtung des Einsatzes für die Menschenrechte. Im Ritual formulierte er in diesem Sinne:  
Für die freimaurerischen Zusammenkünfte bearbeitete Georges Martin die Rituale des Alten Angenommenen Schottischen Ritus kurz AASR im Sinne der Grundprinzipien von Gendergerechtigkeit, Laizität und sozialem Auftrag. Er betonte die gesellschaftspolitische Verantwortung jedes einzelnen Freimaurers und jeder einzelnen Freimaurerin sowie die Verpflichtung des Einsatzes für die Menschenrechte. Im Ritual formulierte er in diesem Sinne:  


:''Soziale Gerechtigkeit ist das Ziel, das die Menschheit anstrebt und das die Freimaurer ihren Anhängern vorgeben, durch die Gemischte Freimaurerei in ihrer Proklamation des MENSCHENRECHTS - LE DROIT HUMAIN.''  
:''Soziale Gerechtigkeit ist das Ziel, das die Menschheit anstrebt und das die Freimaurer ihren Anhängern vorgeben, durch die Gemischte Freimaurerei in ihrer Proklamation des MENSCHENRECHTS - LE DROIT HUMAIN.''<ref>Ritual für die Maurerische Arbeit von Georges Martin 1893, Archiv Le Droit Humain Paris.</ref>


An anderer Stelle formulierte er indem er Gendergerechtigkeit auch in der Sprache sichtbar machte:
An anderer Stelle formulierte er indem er Gendergerechtigkeit auch in der Sprache sichtbar machte:
    
    
:''La vie du Maçon, comme celle de la Maçonne, doit être consacrée à la marche en avant de l'humanité. (Das Leben des Freimaurers, wie auch das der Freimaurerin, muss dem Fortschritt der Menschheit gewidmet sein.)''
:''La vie du Maçon, comme celle de la Maçonne, doit être consacrée à la marche en avant de l'humanité. (Das Leben des Freimaurers, wie auch das der Freimaurerin, muss dem Fortschritt der Menschheit gewidmet sein.)''<ref>Ebd.</ref>


Der Zutritt zur Freimaurerei stand und steht im gemischten Orden Le Droit Humain seither allen ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität oder des Glaubens offen. Somit hatte Frankreich im Gegensatz zu England den entscheidenden Schritt zur praktischen Einlösung eines Gleichheitsanspruches von Männern und Frauen innerhalb der Freimaurerei getan.
Der Zutritt zur Freimaurerei stand und steht im gemischten Orden Le Droit Humain seither allen ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität oder des Glaubens offen. Somit hatte Frankreich im Gegensatz zu England den entscheidenden Schritt zur praktischen Einlösung eines Gleichheitsanspruches von Männern und Frauen innerhalb der Freimaurerei getan.
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Das öffentliche Engagement führender theosophischer Mitglieder veranlasste den Obersten Rat des Le Droit Humain in den 1920er Jahren mehrmals die Unabhängigkeit des Ordens von jeder „besonderen“ Orientierung zu betonen. Er lehnte jede Verantwortung für religiöse oder antireligiöse Praktiken seiner Mitglieder ab: ''  
Das öffentliche Engagement führender theosophischer Mitglieder veranlasste den Obersten Rat des Le Droit Humain in den 1920er Jahren mehrmals die Unabhängigkeit des Ordens von jeder „besonderen“ Orientierung zu betonen. Er lehnte jede Verantwortung für religiöse oder antireligiöse Praktiken seiner Mitglieder ab: ''  
Le Droit Humain bekennt sich zu keinem Dogma. Der Freimaurerorden arbeitet auf der Suche nach der Wahrheit.''
Le Droit Humain bekennt sich zu keinem Dogma. Der Freimaurerorden arbeitet auf der Suche nach der Wahrheit.''<ref>Internationale Konstitution, Archiv Le Droit Humain Paris.</ref>


'''🌿 Le Droit Humain – Reformschritte in Österreich'''
===🌿 Le Droit Humain – Reformschritte in Österreich===


Die sozialen Umbrüche der Jahrhundertwende wirkten sich auf alle Bereiche der Gesellschaft aus. Bildungspolitische, soziale und emanzipatorische Fragestellungen beschäftigten sowohl Männer als auch Frauen. Doch erst mit dem Zerfall der Donaumonarchie und der Ausrufung der Republik Österreich erhielten Frauen erstmals Zutritt zur Wahlurne und waren damit den Männern auf der politischen Bühne gleichgestellt. Auch für die Freimaurerei bedeutete dies einen grundsätzlichen Neuanfang. In Österreich wurde 1922 mit Hilfe der Niederländischen Jurisdiktion vollkommen unabhängig von der männlichen Großloge von Wien die erste gemischte Loge des Le Droit Humain – die Loge Vertrauen gegründet, 1928 folgte ihr die zweite mit dem Namen Harmonie. Bis zu ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten waren beiden an die 200 Männer und Frauen beigetreten. In nur 16 Jahren bemühten sich diese um die Einlösung ihres humanitären Auftrags, der 1938 durch das NS-Regime radikal beendet wurde.
Die sozialen Umbrüche der Jahrhundertwende wirkten sich auf alle Bereiche der Gesellschaft aus. Bildungspolitische, soziale und emanzipatorische Fragestellungen beschäftigten sowohl Männer als auch Frauen. Doch erst mit dem Zerfall der Donaumonarchie und der Ausrufung der Republik Österreich erhielten Frauen erstmals Zutritt zur Wahlurne und waren damit den Männern auf der politischen Bühne gleichgestellt. Auch für die Freimaurerei bedeutete dies einen grundsätzlichen Neuanfang. In Österreich wurde 1922 mit Hilfe der Niederländischen Jurisdiktion vollkommen unabhängig von der männlichen Großloge von Wien die erste gemischte Loge des Le Droit Humain – die Loge Vertrauen gegründet, 1928 folgte ihr die zweite mit dem Namen Harmonie. Bis zu ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten waren beiden an die 200 Männer und Frauen beigetreten. In nur 16 Jahren bemühten sich diese um die Einlösung ihres humanitären Auftrags, der 1938 durch das NS-Regime radikal beendet wurde.
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Wie in Frankreich und England, waren es mehrheitlich gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die Mitglieder in den Logen des Le Droit Humain wurden. Ihr Einsatz für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft, ihre Arbeit für Sozialreformen und Volksbildung besonders im Roten Wien der 1920er und 1930er Jahre verband die Mitglieder auch mit den Freimaurern der Großloge von Wien. Sie wollten in der Gesellschaft im Sinne humanistischer Werte und sozialem Engagement Einfluss ausüben. Die Logen wurden jedoch nicht als politische Zirkel und Clubs verstanden, sondern als Werkstätten um den Umgang mit Werkzeugen für ein respektvolles Zusammenleben, den Dialog auf Augenhöhe und den Bau einer humanistisch orientierten Gesellschaft zu erlernen. Viele Lebensgeschichten der Mitglieder erzählen von ihrem freimaurerischen Leben als Künstler:innen, Pädagog:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen, Jurist:innen, als Reformer:innen, Sozialdemokrat:innen und Feministinnen. Sie engagierten sich für Demokratie, Bildung, Gleichberechtigung und natürlich für Menschenrechte.
Wie in Frankreich und England, waren es mehrheitlich gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die Mitglieder in den Logen des Le Droit Humain wurden. Ihr Einsatz für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft, ihre Arbeit für Sozialreformen und Volksbildung besonders im Roten Wien der 1920er und 1930er Jahre verband die Mitglieder auch mit den Freimaurern der Großloge von Wien. Sie wollten in der Gesellschaft im Sinne humanistischer Werte und sozialem Engagement Einfluss ausüben. Die Logen wurden jedoch nicht als politische Zirkel und Clubs verstanden, sondern als Werkstätten um den Umgang mit Werkzeugen für ein respektvolles Zusammenleben, den Dialog auf Augenhöhe und den Bau einer humanistisch orientierten Gesellschaft zu erlernen. Viele Lebensgeschichten der Mitglieder erzählen von ihrem freimaurerischen Leben als Künstler:innen, Pädagog:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen, Jurist:innen, als Reformer:innen, Sozialdemokrat:innen und Feministinnen. Sie engagierten sich für Demokratie, Bildung, Gleichberechtigung und natürlich für Menschenrechte.
   
   
'''🌿 Aufbruch, Ambition und Ende einer Bewegung'''
===🌿 Aufbruch, Ambition und Ende einer Bewegung===


Seit dem Zusammenbruch der Monarchie und der Ausrufung der Republik benötigte man neue Strukturen und so griff man auch zu Altbewährtem aus der Belle Epoque. Bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden als Antwort auf den Aufbruch in die Moderne zahlreiche Reformbewegungen. Der Kampf der Geschlechter tobte ebenso, wie jener um den Ausbau der Trennung von Kirche und Staat oder der Wunsch nach einer liberalen Bildungs- oder generellen Friedenspolitik. Nach der Abdankung des Kaisers übte sich eine junge Demokratie zwischen Aufbruch und Reaktion. Parallel zur galoppierenden Inflation, zu Armut und Arbeitslosigkeit standen Reaktion, Antisemitismus, politische Kämpfe zwischen Links und Rechts dicht neben zahlreichen Reformbewegungen. Zu diesen ist auch die Entstehung der gemischten Freimaurerei zu zählen. Nicht zufällig findet man bei den Mitgliedern die Kinder der Wiener Moderne wieder. Zwischen 1880 und 1900 geboren waren sie erwachsen geworden und in den sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahren“ auf der Suche nach Foren für Engagement, Experiment und Zugehörigkeit. Auffällig zeigt sich dabei ein spezifisches Soziogramm. Die männlichen und weiblichen Mitglieder waren mehrheitlich jüdischer Herkunft, hatten die Israeltische Kultusgemeinde jedoch verlassen. Oft kamen sie aus den Kronländern, waren also in die Hauptstadt zugezogen, um hier zu studieren. Der bildungspolitische Aufstieg charakterisierte sie ebenso wie eine oftmalige Nähe zur Sozialdemokratie. Vielfältig engagiert zeigten sie sich in der Öffentlichkeit präsent und betätigten sich in zahlreichen Reformprojekten. Möglicherweise boten ihnen die Logen in den persönlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen der Zwischenkriegszeit eine Insel der Zugehörigkeit. Tatsächlich wird sich das freimaurerische Netzwerk in der Fluchthilfe nach 1938 positiv bemerkbar machen.
Seit dem Zusammenbruch der Monarchie und der Ausrufung der Republik benötigte man neue Strukturen und so griff man auch zu Altbewährtem aus der Belle Epoque. Bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden als Antwort auf den Aufbruch in die Moderne zahlreiche Reformbewegungen. Der Kampf der Geschlechter tobte ebenso, wie jener um den Ausbau der Trennung von Kirche und Staat oder der Wunsch nach einer liberalen Bildungs- oder generellen Friedenspolitik. Nach der Abdankung des Kaisers übte sich eine junge Demokratie zwischen Aufbruch und Reaktion. Parallel zur galoppierenden Inflation, zu Armut und Arbeitslosigkeit standen Reaktion, Antisemitismus, politische Kämpfe zwischen Links und Rechts dicht neben zahlreichen Reformbewegungen. Zu diesen ist auch die Entstehung der gemischten Freimaurerei zu zählen. Nicht zufällig findet man bei den Mitgliedern die Kinder der Wiener Moderne wieder. Zwischen 1880 und 1900 geboren waren sie erwachsen geworden und in den sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahren“ auf der Suche nach Foren für Engagement, Experiment und Zugehörigkeit. Auffällig zeigt sich dabei ein spezifisches Soziogramm. Die männlichen und weiblichen Mitglieder waren mehrheitlich jüdischer Herkunft, hatten die Israeltische Kultusgemeinde jedoch verlassen. Oft kamen sie aus den Kronländern, waren also in die Hauptstadt zugezogen, um hier zu studieren. Der bildungspolitische Aufstieg charakterisierte sie ebenso wie eine oftmalige Nähe zur Sozialdemokratie. Vielfältig engagiert zeigten sie sich in der Öffentlichkeit präsent und betätigten sich in zahlreichen Reformprojekten. Möglicherweise boten ihnen die Logen in den persönlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen der Zwischenkriegszeit eine Insel der Zugehörigkeit. Tatsächlich wird sich das freimaurerische Netzwerk in der Fluchthilfe nach 1938 positiv bemerkbar machen.
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1938 endete für die mehrheitlich jüdischen Mitglieder des Le Droit Humain ihr freimaurerischer Weg in Wien. Wem es gelang, einen Ausreiseantrag positiv einzubringen, konnte einen oft beschwerlichen Neubeginn in der Emigration in Amerika, Großbritannien, Australien und Südafrika starten. Oft wurden sie durch freimaurerische Geschwister im Ausland bei Ausreise und Integration unterstützt. Zahlreiche Geschwister wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
1938 endete für die mehrheitlich jüdischen Mitglieder des Le Droit Humain ihr freimaurerischer Weg in Wien. Wem es gelang, einen Ausreiseantrag positiv einzubringen, konnte einen oft beschwerlichen Neubeginn in der Emigration in Amerika, Großbritannien, Australien und Südafrika starten. Oft wurden sie durch freimaurerische Geschwister im Ausland bei Ausreise und Integration unterstützt. Zahlreiche Geschwister wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
   
   
Heute gibt es eine Forschungswerkstätte des Le Droit Humain Österreichs, die sich um die Erinnerung an die Geschwister der Zwischenkriegszeit bemüht und die deren Lebensgeschichte, in Biographien aufgearbeitet, zur Verfügung stellt.
Heute gibt es eine Forschungswerkstätte des Le Droit Humain Österreichs, die sich um die Erinnerung an die Geschwister der Zwischenkriegszeit bemüht und die deren Lebensgeschichte, in Biographien aufgearbeitet, zur Verfügung stellt.<ref>Forschungswerkstätte und Archiv Le Droit Humain Österreich, Wien.</ref>


'''🌿 Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg'''
===🌿 Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg===
[[Bild:Mary Dickenson Auner.jpg|thumb|350px|Mary Dickenson Auner.jpg]]
[[Bild:Mary Dickenson Auner.jpg|thumb|350px|Mary Dickenson Auner.jpg]]


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Im Le Droit Humain Österreich der Nachkriegszeit fand nicht nur mangels historischer Quellen lange Zeit keine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte statt. Wie allgemein in Österreich hatten auch die freimaurerischen Geschwister Schwierigkeiten, sich zu erinnern und sich der freimaurerischen Geschichte im historischen Kontext zu stellen. Erst Ende der 1980er Jahre, als Österreich bereit war, sich der eigenen NS-Vergangenheit zu stellen, begann auch im Le Droit Humain eine erste Sensibilisierung. Zwei Schwestern, die durch antisemitische Äußerungen aufgefallen waren, mussten die Logen verlassen. Durch Zufall fand Hermi Fröhlich Kontakt zu dem historischen Bruder Fritz Engel. Er war Zahnarzt und 1922 Gründungsmitglied der Loge Vertrauen. 1938 musste er als jüdisches Mitglied mit seiner Familie nach England emigrieren. Durch jene Briefe gab es erstmals einen Zeitzeugenbericht und eine authentische Erzählung zur Entstehungsgeschichte des österreichischen Le Droit Humain. Zum ersten Mal wurden Namen von Mitgliedern genannt sowie Verbot und Verfolgung durch den Nationalsozialismus thematisiert. Bruder Fritz Engel mahnte eine Auseinandersetzung ein.   
Im Le Droit Humain Österreich der Nachkriegszeit fand nicht nur mangels historischer Quellen lange Zeit keine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte statt. Wie allgemein in Österreich hatten auch die freimaurerischen Geschwister Schwierigkeiten, sich zu erinnern und sich der freimaurerischen Geschichte im historischen Kontext zu stellen. Erst Ende der 1980er Jahre, als Österreich bereit war, sich der eigenen NS-Vergangenheit zu stellen, begann auch im Le Droit Humain eine erste Sensibilisierung. Zwei Schwestern, die durch antisemitische Äußerungen aufgefallen waren, mussten die Logen verlassen. Durch Zufall fand Hermi Fröhlich Kontakt zu dem historischen Bruder Fritz Engel. Er war Zahnarzt und 1922 Gründungsmitglied der Loge Vertrauen. 1938 musste er als jüdisches Mitglied mit seiner Familie nach England emigrieren. Durch jene Briefe gab es erstmals einen Zeitzeugenbericht und eine authentische Erzählung zur Entstehungsgeschichte des österreichischen Le Droit Humain. Zum ersten Mal wurden Namen von Mitgliedern genannt sowie Verbot und Verfolgung durch den Nationalsozialismus thematisiert. Bruder Fritz Engel mahnte eine Auseinandersetzung ein.   


'''🌿 „Vergangenheitsbewältigung“'''
===🌿 „Vergangenheitsbewältigung“===


Am 20.6.1988 schrieb Fritz Engel anlässlich der Idee der Wiederbelebung der Loge Vertrauen im Le Droit Humain Österreich:
Am 20.6.1988 schrieb Fritz Engel anlässlich der Idee der Wiederbelebung der Loge Vertrauen im Le Droit Humain Österreich:


:''„Die Österreicher haben es nicht leicht der Aufforderung der Regierung nachzukommen, um das Gedenkjahr 1988 – 50 Jahre nach dem schicksalsbeladenen Anschluss ans Deutsche Reich, in richtiger Weise zu begehen. Niemand denkt gerne zurück mit oder ohne Schuldgefühl – an diese folgenschwere Zeit. Die Loge Vertrauen wurde ja im Gefolge des Anschlusses in Schlummer richtiger, in Todesschlaf versetzt. Zwei ihrer Mitglieder haben sich selbst umgebracht, um dem KZ zu entgehen und die Schatzmeisterin wurde für 3 Monate eingesperrt. Es ist schwer ein Wort zu finden, welches Richtung gebend ist, um die Vergangenheit zu verarbeiten. Das Schlagwort „Vergangenheitsbewältigung“ enthält zu viel der Sprachwurzel „Bewältigung“, da es zu viel Anklang hat an „Gewalt“ und „Vergewaltigung“. NUR die Wahrheit kann heilen und zwar die tiefe und schöne Wahrheit. Das Weltgeschehen muss von einer sehr hohen geistigen Warte aus beurteilt und gesehen werden. Solch einen Ausblick und Einblick bietet die Freimaurerei, wenn sie richtig erfasst und verstanden wird.“''
:''„Die Österreicher haben es nicht leicht der Aufforderung der Regierung nachzukommen, um das Gedenkjahr 1988 – 50 Jahre nach dem schicksalsbeladenen Anschluss ans Deutsche Reich, in richtiger Weise zu begehen. Niemand denkt gerne zurück mit oder ohne Schuldgefühl – an diese folgenschwere Zeit. Die Loge Vertrauen wurde ja im Gefolge des Anschlusses in Schlummer richtiger, in Todesschlaf versetzt. Zwei ihrer Mitglieder haben sich selbst umgebracht, um dem KZ zu entgehen und die Schatzmeisterin wurde für 3 Monate eingesperrt. Es ist schwer ein Wort zu finden, welches Richtung gebend ist, um die Vergangenheit zu verarbeiten. Das Schlagwort „Vergangenheitsbewältigung“ enthält zu viel der Sprachwurzel „Bewältigung“, da es zu viel Anklang hat an „Gewalt“ und „Vergewaltigung“. NUR die Wahrheit kann heilen und zwar die tiefe und schöne Wahrheit. Das Weltgeschehen muss von einer sehr hohen geistigen Warte aus beurteilt und gesehen werden. Solch einen Ausblick und Einblick bietet die Freimaurerei, wenn sie richtig erfasst und verstanden wird.“''<ref>Brief von Fritz Engel an Hermi Fröhlich vom 20.6.1988, Archiv Le Droit Humain Österreich, Wien</ref>
 


2025 verfügt die Forschungswerkstätte in Wien über Originalquellen, die zeigen, dass die Geschwister der Zwischenkriegszeit einen sehr sensibilisierten und distanzierten Umgang mit rechtem und faschistischem Gedankengut pflegten. Die wenigen Geschwister, die als Hakenkreuzler bezeichnet wurden, schloss man aus. Antifaschistischer Aktionismus und Demonstration pazifistischer Überzeugung waren Grundlage ihrer humanistisch geprägten Haltung.
2025 verfügt die Forschungswerkstätte in Wien über Originalquellen, die zeigen, dass die Geschwister der Zwischenkriegszeit einen sehr sensibilisierten und distanzierten Umgang mit rechtem und faschistischem Gedankengut pflegten. Die wenigen Geschwister, die als Hakenkreuzler bezeichnet wurden, schloss man aus. Antifaschistischer Aktionismus und Demonstration pazifistischer Überzeugung waren Grundlage ihrer humanistisch geprägten Haltung.
   
   
'''🌿 Gründung der Österreichischen Föderation'''
===🌿 Gründung der Österreichischen Föderation===


Mit der Wiedererweckung der Loge Vertrauen 1989 unter der Ehrenmitgliedschaft von Bruder Fritz Engel und der Gründung der österreichischen Föderation 1994 begannen sich die Geschwister langsam wieder auf den Geist der Gründer:innen des Le Droit Humain zu besinnen. Gesellschaftspolitisches Engagement im Einsatz für Menschenrechte und Demokratie, feministisches Bewusstsein, Internationalität und Laizität sollten in der Folge erneut Basis der französisch geprägten gemischten Freimaurerei in Österreich werden.  
Mit der Wiedererweckung der Loge Vertrauen 1989 unter der Ehrenmitgliedschaft von Bruder Fritz Engel und der Gründung der österreichischen Föderation 1994 begannen sich die Geschwister langsam wieder auf den Geist der Gründer:innen des Le Droit Humain zu besinnen. Gesellschaftspolitisches Engagement im Einsatz für Menschenrechte und Demokratie, feministisches Bewusstsein, Internationalität und Laizität sollten in der Folge erneut Basis der französisch geprägten gemischten Freimaurerei in Österreich werden.  


2025 mehr als 100 Jahre nach der Gründung der ersten gemischten Loge in Österreich,  arbeiten in der österreichischen Föderation des Le Droit Humain ca. 700 Mitglieder - Freimaurer und Freimaurerinnen -  in 27 Logen, 6 Perfektionslogen, 5 Kapitellogen, vier Aeropagen sowie in Logen der ultimativen Grade. Sie haben ihren Sitz in Wien, Linz, St. Pölten, Salzburg, Innsbruck, Graz und Klagenfurt. Als Freimaurer und Freimaurerinnen arbeiten sie gleichberechtigt am Gebäude der Menschlichkeit im Vertrauen auf den Fortschritt der Menschheit.   
2025 mehr als 100 Jahre nach der Gründung der ersten gemischten Loge in Österreich,  arbeiten in der österreichischen Föderation des Le Droit Humain ca. 700 Mitglieder - Freimaurer und Freimaurerinnen -  in 27 Logen, 6 Perfektionslogen, 5 Kapitellogen, vier Aeropagen sowie in Logen der ultimativen Grade. Sie haben ihren Sitz in Wien, Linz, St. Pölten, Salzburg, Innsbruck, Graz und Klagenfurt. Als Freimaurer und Freimaurerinnen arbeiten sie gleichberechtigt am Gebäude der Menschlichkeit im Vertrauen auf den Fortschritt der Menschheit.<ref>Homepage Le Droit Humain Österreich: https://www.droit-humain.at/.</ref>  
 
:''LE DROIT HUMAIN sieht sich als weltumspannende Gemeinschaft im Spannungsfeld der Bindung an die europäischen Errungenschaften des Humanismus, der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaates in Konfrontation mit einer multipolaren Welt. Alle verantwortungsbewussten Menschen stehen vor der Herausforderung der schwindenden Gewissheiten. Es ist das Wesen des LE DROIT HUMAIN, sich diesem Wandel zu stellen.''<ref>Ebd.</ref>


:''LE DROIT HUMAIN sieht sich als weltumspannende Gemeinschaft im Spannungsfeld der Bindung an die europäischen Errungenschaften des Humanismus, der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaates in Konfrontation mit einer multipolaren Welt. Alle verantwortungsbewussten Menschen stehen vor der Herausforderung der schwindenden Gewissheiten. Es ist das Wesen des LE DROIT HUMAIN, sich diesem Wandel zu stellen.''
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*[[Der Droit Humain Österreich]]: Entwicklung seit den 1920iger Jahren; von Susanne Balázs.
*[[Der Droit Humain Österreich]]: Entwicklung seit den 1920iger Jahren; von Susanne Balázs.
*[[Der Droit Humain Österreich (DHÖ) 1923 - 2023]] - die Entwicklung eingebettet in die Geschichte des Landes.
*[[Der Droit Humain Österreich (DHÖ) 1923 - 2023]] - die Entwicklung eingebettet in die Geschichte des Landes.
*[[22. Oktober 2022: 100 Jahre «Le Droit Humain Österreich»]]
*[[Ausstellung: 100 Jahre «Le Droit Humain Österreich»]]
*[[Ausstellung: 100 Jahre «Le Droit Humain Österreich»]]
*[[Österreich]]
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* Lisa Fischer: http://www.lisa-fischer.at/
* Lisa Fischer: http://www.lisa-fischer.at/
* Susanne Thomasberger: http://www.susanne-thomasberger.com/ +  http://www.entarteopera.com/  
* Susanne Thomasberger: http://www.susanne-thomasberger.com/ +  http://www.entarteopera.com/  
== Fußnoten & Quellen ==


[[Kategorie:Lexikon|Droit Humain]]
[[Kategorie:Lexikon|Droit Humain]]

Aktuelle Version vom 10. August 2025, 13:41 Uhr

Droit Humain.jpg

Neueste Forschungsergebnisse der beiden DHÖ-Schwestern Lisa Fischer und Susanne Thomasberger (2025)

Einleitung von Rudi Rabe: Sowohl der Größe nach als auch historisch ist der Droit Humain in Österreich nach der Großloge von Österreich das zweite wichtige Freimaurersystem; in der Freimaurersprache: die zweite „Obödienz“. Der in Frankreich 1893 entstandene DROIT HUMAIN (deutsch: Menschenrecht) bekennt sich zur Idee der Co-Freimaurerei (= gemischte Freimaurerei); er nimmt also Frauen und Männer auf. In Österreich wurde die erste DH-Loge 1922 gegründet. Und so konnte der DHÖ im Jahr 2022 seinen hundertsten Geburtstag feiern: hier.

Nach diesem Fest haben DHÖ-Schwestern eine interne Werkstätte samt digitalisiertem Archiv zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte des DHÖ eingerichtet. Deren Leiterin Susanne Thomasberger berichtet: „Durch diese Forschung entstand ein neues Geschichtsbild des DHÖ, vor allem auch zur Frage, wer denn die frühen Mitglieder waren. Ähnlich wie in der (männlichen) „Großloge von Wien“ waren es vor allem gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die sich für Bildung, Sozialreformen, Zivilgesellschaft, Pazifismus, Gleichberechtigung etc. einsetzten und die Freimaurerei in diesem Kontext verstanden. Das zeigt uns historisches Material aus der Zwischenkriegszeit, das wir jetzt erstmals finden konnten: über 700 Briefe, Mitgliederlisten und Karteikarten, Jahresberichte, Protokolle und Nachrichtenblätter der österreichischen Logen und vieles mehr. Auf Basis der neuen Quellenlage erarbeiteten vor allem Lisa Fischer und ich mit Hilfe weiterer Geschwister der Forschungswerkstätte detaillierte Biographien unserer damaligen Geschwister, deren Lebensgeschichten ein sehr komplexes und beeindruckendes Geschichtsbild zeigen. Der vom Freimaurer-Wiki wiedergegebene und von uns autorisierte Text ist nun die ‚neue‘ und ‚offizielle‘ Erzählung unserer Geschichte“.  


Das historische Patent zur Gründung des Internationalen Droit Humain in Paris (1893) mit Unterschriften von Maria Deraismes, Georges Martin u.a.

Freiheit - Gleichheit - Geschwisterlichkeit: 
Freimaurerei als Ideen- und Kulturgeschichte im Le Droit Humain

Von Lisa Fischer und Susanne Thomasberger

Lisa Fischer ist eine vielseitige österreichische Historikerin. Sie hat eine Reihe von wissenschaftlichen Sachbüchern und Artikeln verfasst. Immer wieder beschäftigt sich die vielfach Ausgezeichnete (u.a. Goldenes Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich) auch mit freimaurerischen Themen. Seit 2003 ist sie Mitglied im Le Droit Humain Österreich und erarbeitet derzeit für die Forschungswerkstätte Biographien der historischen Freimaurer:innen in der gemischten Obödienz.

Susanne Thomasberger ist eine österreichische Kulturschaffende. Sie hat vierzig Jahre lang als Bühnen- und Kostümbildnerin, Ausstellungsgestalterin und Produktionsleiterin an zahlreichen Theatern und Kulturinstitutionen gearbeitet und war zuletzt als künstlerische Leiterin für ihr Festival “EntArteOpera” verantwortlich. Seit 2012 ist sie Mitglied im Le Droit Humain Österreich, konzipierte und designte 2022 die Jubiläumsausstellung und die Onlinepräsentation des Le Droit Humain Österreich  und leitet seit 2022 die Forschungswerkstätte der ersten gemischten Obödienz in Österreich.


🌿 Die Ursprünge einer Reformbewegung im 18. Jahrhundert

Die Entstehungsgeschichte der zunächst nur männlichen Freimaurerei verlief in der Habsburgermonarchie ganz im Trend der Zeit. Seit in London im Jahre 1717 eine Großloge entstanden war, breitete sich die Idee mit ihren aufklärerischen Grundlagen von Freiheit, Toleranz und Humanität schnell über Europa und nach Amerika aus. 1733 entstand in Hamburg die erste deutsche Loge, 1742 jene in Wien. Friedrich der Große wurde bereits 1738 als Kronprinz in Braunschweig zum Logenbruder. Die 1740 in Berlin gegründete Loge „Aux Trois Globes“ - „Zu den drei Weltkugeln“ - stand unter seiner Patronanz was dem Bund in Deutschland insgesamt zu einem Aufschwung verhalf. Ihre Mitglieder wurden bald wichtige Träger eines überregionalen Wertesystems und internationalen Netzwerks. Auch Franz Stephan von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias, war schon 1731 für den Bund gewonnen worden. Die Herrscherin des Habsburgerreiches umgab sich trotz ihrer Skepsis mit zahlreichen freimaurerischen Beratern. So war ihr Leibarzt Gerard van Swieten treibende Kraft für die Reform des Gesundheitswesens, Tobias von Gebler und Johann Melchior von Birkenstock reformierten das Schulwesen. Joseph von Sonnenfels zeichnete sich durch die Abschaffung der Folter aus und Ignaz von Born, wesentlicher Denker der österreichischen Aufklärung, schuf durch seine Katalogisierung die Voraussetzung für das Naturhistorische Museum. Als wichtigster Fürsprecher der Freimauerei fand sich ihr Schwiegersohn Albert von Sachsen-Teschen, der Gründer der größten Kupferstichsammlung Europas, der Wiener Albertina.[1]


In den vierzig Jahren der Herrschaft von Maria Theresia war die Freimaurerei zwar durch eine herrschaftliche Verfügung untersagt, gleichzeitig aber grundsätzlich geduldet worden. Dadurch kam es bis zu ihrem endgültigen Verbot 1795 im 18. Jahrhundert zu Blütezeit der „Königlichen Kunst“. Ihre theoretischen Gedanken bildeten sich im breit gefächerten Reformprogramm der Herrscherin ab, denn sie basierten auf bestimmten Werthaltungen. Die Versatzstücke ihres Tugendkanons schöpften aus der antiken Mythologie, dem Christentum, der Gnosis und aus ägyptischen Mysterienkulten. Die Mitgliedschaft glich einem Erkenntnisweg, der über drei wesentliche Stufen vom Lehrling über den Gesellen und schließlich zum Meister führte. Die Brüder zahlten nicht nur eine Aufnahmegebühr, sondern waren zu finanziellen Beiträgen verpflichtet. Die Zugehörigkeit musste man sich also leisten können. Man traf sich in so genannten Logen bei denen mittels Rituals ein Erfahrungshorizont zur Verinnerlichung der Tugenden von Gleichheit und sozialem Engagement geschaffen wurde. Vom individuellen Arbeiten führte der Weg direkt in die Tat und damit zur gesellschaftlichen Anwendung des humanitären Auftrages.

🌿 Weisheit – Stärke – Schönheit

Erkennen und Selbsterkennen sollten mittels Gerechtigkeit, Tugendhaftigkeit, Redlichkeit und Nützlichkeit zur Vervollkommnung von Gedanken und Taten führen. Der durch Wissenschaften aufgeklärte Verstand wollte schlussendlich allgemeine Freiheit ermöglichen. Gleichzeitig beruhte das Verständnis von Freiheit auf der Unabhängigkeit von der Sklaverei der Sinne. Die Leidenschaften waren in Verruf geraten und daher nur in kontrollierbarem Rahmen geduldet, wie bei Feiern und Festtafeln. Die Schönheit war schließlich neben Weisheit und Stärke eine der drei Säulen auf denen der metaphorisch gedachte Tempel der Humanität gebaut wurde. Die Brüder suchten äußere und innere Welten in Harmonie miteinander zu bringen und zu halten. Schönheit war nicht nur eine ästhetische Kategorie, sondern die gelungene Balance zwischen Verstand und Herz, bei der gegenseitige Toleranz und Liebe eine Grundvoraussetzung darstellten. Der Freundschaftsbund verstand sich derart als Mittel, um zur Weltweisheit zu gelangen. Er verfolgte demnach hohe ethische Ansprüche nach denen die ganze Welt als eine Republik angesehen wurde.

Wegen ihrer religiösen Toleranz von der Kirche verfolgt und von staatlicher Seite auch immer wieder wegen des postulierten Gleichheitsprinzips per Gesetz verboten, sahen sich die Brüder dennoch als wertvolle Stützen des Staates. Die Anerkennung einer höheren Instanz des Lichts, eines transzendenten Baumeisters aller Welten, bot die Möglichkeit, ihm jenen Tempelbau zu widmen, an dessen Errichtung sich die Brüder auf Erden beteiligten. Die gemeinsame Arbeit diente der Ehre Gottes, der Wohlfahrt der Menschen und der eigenen Gemütsruhe. Diese wiederum bot die Grundlage für einen gesunden Körper. Bruderliebe und Menschenfreundschaft waren jene Säulen, die die Tragfähigkeit der symbolisch gedachten Tempelmauern herstellen sollten. Die Arbeit an sich und das tugendhafte Wirken in der Gesellschaft wurden dabei durchaus als Vorbild für die Politik und ihre Vertreter verstanden. Der Tod stellte in diesem Gedankengebäude keine Bedrohung, sondern nur eine Schwelle dar, über die die derart Eingeweihten vom weltlichen Tempel in den himmlischen hinüber schritten.

🌿 Vorformen der Zivilgesellschaft

Der öffentliche Raum in Form von Lokalen oder Caféhäusern war im 18. Jahrhundert noch unzureichend ausgebildet. Die Loge bot daher einen idealen Sozialraum, der als Vorform in der Entwicklungsgeschichte der Vereine im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle spielen sollte. Die Freimaurerei zeigte im 18. Jahrhundert keine in sich geschlossene Einheit. Während die Einen den Stein der Weisen durchaus in den alchimistischen Experimentierwerkstätten der Goldmacherei suchten, versuchten andere mit Hilfe der rationalen Vernunft die Welt zu erklären und die Geister des Aberglaubens zu vertreiben. Innere Zersplitterung des Ordens und Fehlverhalten einzelner Mitglieder machten ihn zu einer nicht unumstrittenen Bewegung. Innerhalb dieser Geheimgesellschaften existierten zahlreiche Gruppierungen wie die traditionsbezogenen Rosenkreuzer, die betont fortschrittsfreudigen Illuminaten oder die spirituellen Asiatischen Brüder. So standen in diesen Agenturen der Aufklärung alchimistischer Mystizismus oder rationale Wissenschaftsfreude, tempelritterliche Herrschaftsgelüste und elitäre Auserwähltheitsansprüche dicht neben dem Gleichheitspostulat. Frauen schloss man trotz des theoretischen Egalitätsprinzips mit wenigen Ausnahmen von einer Mitgliedschaft im Männerbund aus. So gab es beispielsweise im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts so genannte Adoptionslogen. Sie standen unter der Oberhoheit der männlichen Logen und beeinflussten Wolfgang Amadeus Mozart. Die humanistische Vision einer paritätischen Geschlechteraufteilung versuchte er in seiner Oper Die Zauberflöte darzustellen. Die Adoptionslogen arbeiteten mit eigenen Ritualen[2] und Zeremonien, die erhalten sind und die der leidenschaftliche Freimaurer Mozart auch kannte. Er selbst plante sogar die Errichtung einer gemischten Loge in Wien.[3] Trotz dieser Ausnahmen hatte das Licht der Aufklärung bei weitem noch nicht die letzten Winkel dunkler Vorurteile erreicht und die Vernunft machte dort Halt, wo es um die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen ging. Die Dialektik der Aufklärung war allgegenwärtig.

Nach dem Verbot von 1795 entstanden in der Habsburgermonarchie erst ab 1869 wieder Logen. Durch ein liberales Vereinsgesetz begründet fand man sie daher nur im ungarischen Teil – in Preßburg, Ödenburg und Neudörfl. Die mehr als 7.000 Mitglieder trafen sich bis 1918 in 102 Logen.[4] Der Eintritt war erneut nur Männern gestattet. Als wesentliche Grundlage der Freimaurerei galt es auch nun durch Bildung, Wissenschaft, Kunst und humanitäres Engagement zu einer allgemeinen Verbesserung von Politik und Gesellschaft beizutragen.

🌿 Die Gemischte Freimaurerei - Le Droit Humain

Marie Deraismes
Georges Martin

Im Gegensatz zur englischen, rein männlich orientierten Freimaurerei, gab es Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich einen Paukenschlag. Die Feministin Maria Deraismes war die erste Frau, die am 14. Jänner 1882 mit der Unterstützung des Arztes Georges Martin in die Freimaurerloge Les Libres Penseurs - die Freidenker in Le Pecq, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Paris, aufgenommen worden war. Damit leiteten ein Mann und eine Frau jene praktischen Schritte ein, die beide in ihren theoretischen Schriften gefordert hatten: die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen in der Gesellschaft und in der Freimaurerei im sogenannten LE DROIT HUMAIN - Dem Menschenrecht.

Die 1848er Revolutionen hatten, besonders in Frankreich, auch zu Veränderungen in der Freimaurerei geführt. Die Ideale der französischen Revolution, Liberté, Égalité, Fraternité gewannen an Bedeutung. Ideen der sozialen Gerechtigkeit fanden kämpferisch Einzug in die freimaurerischen Rituale, der Laizismus folgte bald darauf. Es entstand die Grande Lodge Symbolique Ecossaise de France, deren Mitbegründer Georges Martin war. Als Maria Deraismes in seiner Loge als erste und einzige Frau aufgenommen wurde, formulierte sie diesen revolutionären Schritt in einer Rede:

„Die Freimaurerei ist eine Vereinigung mit universellem und säkularem Charakter. Die Freimaurerei, der Feind des Aberglaubens und des Irrtums, ist der natürliche Widersacher der Kirche. Durch einen seltsamen Widerspruch folgt die Freimaurerei jedoch, was die Frauen betrifft, den Irrwegen des Katholizismus.“[5]

Nachdem die Loge Les Libres Penseurs 1884 dem Druck ihrer Großloge nachgegeben hatte und die Regularität der Aufnahme von Frauen wieder in Frage stellte, fand sich Maria Deraismes zwar als Freimaurerin jedoch ohne Loge. Georges Martin beschrieb unter dem Titel Recht der Frauen ein Projekt zur Gründung einer gemischten Loge. Am 4. April 1893, elf Jahre nach der Aufnahme von Maria Deraismes in eine Freimaurerloge, gründete sie mit 16 Frauen - alles engagierte Feministinnen, Pädagoginnen, Wissenschaftlerinnen, Pazifistinnen, Sozialistinnen und Revolutionärinnen - unter der wertvollen Mithilfe von Georges Martin die erste gleichberechtigt gemischtgeschlechtlich arbeitende Freimaurerobödienz, die Grande Loge Symbolique Ecossaise Mixte de France LE DROIT HUMAIN.

🌿 Frauen und der Weg zur Geschlechterdemokratie

Für die freimaurerischen Zusammenkünfte bearbeitete Georges Martin die Rituale des Alten Angenommenen Schottischen Ritus kurz AASR im Sinne der Grundprinzipien von Gendergerechtigkeit, Laizität und sozialem Auftrag. Er betonte die gesellschaftspolitische Verantwortung jedes einzelnen Freimaurers und jeder einzelnen Freimaurerin sowie die Verpflichtung des Einsatzes für die Menschenrechte. Im Ritual formulierte er in diesem Sinne:

Soziale Gerechtigkeit ist das Ziel, das die Menschheit anstrebt und das die Freimaurer ihren Anhängern vorgeben, durch die Gemischte Freimaurerei in ihrer Proklamation des MENSCHENRECHTS - LE DROIT HUMAIN.[6]

An anderer Stelle formulierte er indem er Gendergerechtigkeit auch in der Sprache sichtbar machte:

La vie du Maçon, comme celle de la Maçonne, doit être consacrée à la marche en avant de l'humanité. (Das Leben des Freimaurers, wie auch das der Freimaurerin, muss dem Fortschritt der Menschheit gewidmet sein.)[7]

Der Zutritt zur Freimaurerei stand und steht im gemischten Orden Le Droit Humain seither allen ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität oder des Glaubens offen. Somit hatte Frankreich im Gegensatz zu England den entscheidenden Schritt zur praktischen Einlösung eines Gleichheitsanspruches von Männern und Frauen innerhalb der Freimaurerei getan.

Georges Martin erkannte, dass er, um die gemischte Freimaurerei zu etablieren, eine stabile und internationale Basis schaffen musste. 1901 veröffentlichte er die Verfassung des Internationalen Gemischten Freimaurerordens LE DROIT HUMAIN, nun erweitert um alle 33 Grade des AASR und mit Regeln für Föderationen außerhalb Frankreichs.

Le Droit Humain breitete sich über die Schweiz, Großbritannien, Amerika, den Niederlanden in weitere Länder aus. Er vereinte schließlich unterschiedliche Nationalitäten, Sprachen und Kulturen auf allen Kontinenten. Vor allem durch das Engagement von Annie Besant, feministische und sozialistische Aktivistin und führende Gestalt in der theosophischen Bewegung, gewann Le Droit Humain an internationaler Bedeutung. Sie prägte den britischen Le Droit Humain nachhaltig, brachte ihn bis nach Indien und Australien und eröffnete einen eigenen spirituellen Weg, der von ihrer theosophisch östlichen Überzeugung geprägt war. Der internationale Charakter des Le Droit Humain veranlasste den Freimaurerorden dazu, Rituale zu integrieren, die außerhalb Frankreichs praktiziert wurden, im Besonderen den Englischen Ritus. 1920 wurden die Satzungen angepasst um der Internationalisierung gerecht zu werden. Es standen den Mitgliedern zwei Wege offen, ein eher spiritualistischer und ein rationalistischer, wobei Dogmatismus, egal ob religiös oder antireligiös, verurteilt wurde. Grundsätzlich wurden eine liberale Haltung und die Achtung des Laizismus betont.

Das öffentliche Engagement führender theosophischer Mitglieder veranlasste den Obersten Rat des Le Droit Humain in den 1920er Jahren mehrmals die Unabhängigkeit des Ordens von jeder „besonderen“ Orientierung zu betonen. Er lehnte jede Verantwortung für religiöse oder antireligiöse Praktiken seiner Mitglieder ab: Le Droit Humain bekennt sich zu keinem Dogma. Der Freimaurerorden arbeitet auf der Suche nach der Wahrheit.[8]

🌿 Le Droit Humain – Reformschritte in Österreich

Die sozialen Umbrüche der Jahrhundertwende wirkten sich auf alle Bereiche der Gesellschaft aus. Bildungspolitische, soziale und emanzipatorische Fragestellungen beschäftigten sowohl Männer als auch Frauen. Doch erst mit dem Zerfall der Donaumonarchie und der Ausrufung der Republik Österreich erhielten Frauen erstmals Zutritt zur Wahlurne und waren damit den Männern auf der politischen Bühne gleichgestellt. Auch für die Freimaurerei bedeutete dies einen grundsätzlichen Neuanfang. In Österreich wurde 1922 mit Hilfe der Niederländischen Jurisdiktion vollkommen unabhängig von der männlichen Großloge von Wien die erste gemischte Loge des Le Droit Humain – die Loge Vertrauen gegründet, 1928 folgte ihr die zweite mit dem Namen Harmonie. Bis zu ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten waren beiden an die 200 Männer und Frauen beigetreten. In nur 16 Jahren bemühten sich diese um die Einlösung ihres humanitären Auftrags, der 1938 durch das NS-Regime radikal beendet wurde.

Das Wissen um eine gleichberechtigt gemischtgeschlechtlich arbeitende Freimaurerobödienz gelangte durch die Theosophische Gesellschaft und die Persönlichkeit von Annie Besant nach Österreich. Die Theosophie hatte den späteren freimaurerischen Geschwistern auf der Suche nach philosophischen und adogmatischen Alternativen zu den etablierten Religionen mit dem Angebot neuer Gedankenmodelle eine Plattform geboten bevor sie die Freimaurerei für sich entdeckten. Die Rituale sowie die freimaurerische Ausrichtung entsprachen dem englischen, auch niederländischen spiritualistischen Weg. Eine klare inhaltliche Trennung zwischen Theosophie und der Freimaurerei des Le Droit Humain wurde auch in Österreich kommuniziert und in der rituellen Arbeit umgesetzt. Adogmatismus und Laizität sollten hier zur Basis der freimaurerischen Identität werden.

Wie in Frankreich und England, waren es mehrheitlich gesellschaftspolitisch engagierte Menschen, die Mitglieder in den Logen des Le Droit Humain wurden. Ihr Einsatz für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft, ihre Arbeit für Sozialreformen und Volksbildung besonders im Roten Wien der 1920er und 1930er Jahre verband die Mitglieder auch mit den Freimaurern der Großloge von Wien. Sie wollten in der Gesellschaft im Sinne humanistischer Werte und sozialem Engagement Einfluss ausüben. Die Logen wurden jedoch nicht als politische Zirkel und Clubs verstanden, sondern als Werkstätten um den Umgang mit Werkzeugen für ein respektvolles Zusammenleben, den Dialog auf Augenhöhe und den Bau einer humanistisch orientierten Gesellschaft zu erlernen. Viele Lebensgeschichten der Mitglieder erzählen von ihrem freimaurerischen Leben als Künstler:innen, Pädagog:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen, Jurist:innen, als Reformer:innen, Sozialdemokrat:innen und Feministinnen. Sie engagierten sich für Demokratie, Bildung, Gleichberechtigung und natürlich für Menschenrechte.

🌿 Aufbruch, Ambition und Ende einer Bewegung

Seit dem Zusammenbruch der Monarchie und der Ausrufung der Republik benötigte man neue Strukturen und so griff man auch zu Altbewährtem aus der Belle Epoque. Bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden als Antwort auf den Aufbruch in die Moderne zahlreiche Reformbewegungen. Der Kampf der Geschlechter tobte ebenso, wie jener um den Ausbau der Trennung von Kirche und Staat oder der Wunsch nach einer liberalen Bildungs- oder generellen Friedenspolitik. Nach der Abdankung des Kaisers übte sich eine junge Demokratie zwischen Aufbruch und Reaktion. Parallel zur galoppierenden Inflation, zu Armut und Arbeitslosigkeit standen Reaktion, Antisemitismus, politische Kämpfe zwischen Links und Rechts dicht neben zahlreichen Reformbewegungen. Zu diesen ist auch die Entstehung der gemischten Freimaurerei zu zählen. Nicht zufällig findet man bei den Mitgliedern die Kinder der Wiener Moderne wieder. Zwischen 1880 und 1900 geboren waren sie erwachsen geworden und in den sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahren“ auf der Suche nach Foren für Engagement, Experiment und Zugehörigkeit. Auffällig zeigt sich dabei ein spezifisches Soziogramm. Die männlichen und weiblichen Mitglieder waren mehrheitlich jüdischer Herkunft, hatten die Israeltische Kultusgemeinde jedoch verlassen. Oft kamen sie aus den Kronländern, waren also in die Hauptstadt zugezogen, um hier zu studieren. Der bildungspolitische Aufstieg charakterisierte sie ebenso wie eine oftmalige Nähe zur Sozialdemokratie. Vielfältig engagiert zeigten sie sich in der Öffentlichkeit präsent und betätigten sich in zahlreichen Reformprojekten. Möglicherweise boten ihnen die Logen in den persönlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen der Zwischenkriegszeit eine Insel der Zugehörigkeit. Tatsächlich wird sich das freimaurerische Netzwerk in der Fluchthilfe nach 1938 positiv bemerkbar machen.

Oft gab es persönliche Überschneidungen der Aktivisten und Aktivistinnen, die sich sowohl als Mitglieder in öffentlichen Vereinen als auch in der Freimaurerei zusammenfanden. Während die männliche Kette um 1930 an die 2.000 Mitglieder zählte, summierte sich die gemischte Maurerei auf 200 Mitglieder. Trotz der zahlenmäßig geringen Quantität beider Gruppen waren sie in der politisch aufgeheizten Zwischenkriegszeit schnell mit Verschwörungstheorien konfrontiert. Nach dem Bürgerkrieg und der Etablierung des Austrofaschismus standen die Logen ab 1934 unter polizeilicher Beobachtung, einzelne Mitglieder wurden durch die Behörden schikaniert oder erhielten Berufsverbot. Um sich und andere nicht zu gefährden kam es zu vermehrten Austritten, bis 1938 das endgültige Verbot jegliche Aktivitäten zerstörte. Die in Vereinen organisierte Freimaurerei wurde aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt, zahlreiche Mitglieder verhört, festgenommen und sogar gefoltert.

1938 endete für die mehrheitlich jüdischen Mitglieder des Le Droit Humain ihr freimaurerischer Weg in Wien. Wem es gelang, einen Ausreiseantrag positiv einzubringen, konnte einen oft beschwerlichen Neubeginn in der Emigration in Amerika, Großbritannien, Australien und Südafrika starten. Oft wurden sie durch freimaurerische Geschwister im Ausland bei Ausreise und Integration unterstützt. Zahlreiche Geschwister wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.

Heute gibt es eine Forschungswerkstätte des Le Droit Humain Österreichs, die sich um die Erinnerung an die Geschwister der Zwischenkriegszeit bemüht und die deren Lebensgeschichte, in Biographien aufgearbeitet, zur Verfügung stellt.[9]

🌿 Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg

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1955 wurde durch die einzige noch in Wien lebende Freimaurerin der Zwischenkriegszeit, die Komponistin und Violinistin Mary Dickenson Auner Le Droit Humain mit der Loge Harmonie wiedererweckt. Zu dieser Zeit lebten im Ausland noch Zeitzeug:innen, die ihre Geschichte hätten erzählen können. In Wien war die junge Loge des Le Droit Humain, die mit Unterstützung der deutschen Logen wieder zu arbeiten begann, jedoch noch viele Jahre mit sich selbst beschäftigt. Daraus resultierten ein langsames Wachstum und die ständige Dezimierung durch Spaltung und Deckungen. Die Loge Harmonie hatte zunächst Schwierigkeiten, Fuß zu fassen und eine freimaurerische Identität zu finden. Diese sah sie zunächst weder in ihrer eigenen Geschichte der Zwischenkriegszeit noch in den französischen Wurzeln der Gründer:innen des Le Droit Humain. Als die Freimaurerin Hermi Fröhlich 1970 aus Belgien nach Wien zurückkehrte, brachte sie ein erstes Bewusstsein um die französischen Wurzeln des Le Droit Humain mit. Zugleich entstand eine große Nähe zur Großloge von Österreich, deren Brüder den Schwestern, denn inzwischen gab es im Le Droit Humain Österreich nur mehr Frauen, Instruktionen erteilten. Damit boten sie ihr freimaurerisches Verständnis und Geschichtsbild auch den Schwestern, die meist Gattinnen der Brüder waren, zur Identitätsbildung an.

Eine freimaurerische Reform im Sinne der französischen Tradition fand erst in den 1990er Jahren statt. Sie war neben Hermi Fröhlich auch Marianne Bargil zu verdanken. Diese führte Arbeiten auf Basis der von Georges Martin in der Tradition des AASR laizistisch ausgerichteten Ritualen ein. Sie förderte die Erzählung der gesellschaftspolitisch engagierten, feministischen Identität auf Basis der französischen Gründer:innen.

Im Le Droit Humain Österreich der Nachkriegszeit fand nicht nur mangels historischer Quellen lange Zeit keine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte statt. Wie allgemein in Österreich hatten auch die freimaurerischen Geschwister Schwierigkeiten, sich zu erinnern und sich der freimaurerischen Geschichte im historischen Kontext zu stellen. Erst Ende der 1980er Jahre, als Österreich bereit war, sich der eigenen NS-Vergangenheit zu stellen, begann auch im Le Droit Humain eine erste Sensibilisierung. Zwei Schwestern, die durch antisemitische Äußerungen aufgefallen waren, mussten die Logen verlassen. Durch Zufall fand Hermi Fröhlich Kontakt zu dem historischen Bruder Fritz Engel. Er war Zahnarzt und 1922 Gründungsmitglied der Loge Vertrauen. 1938 musste er als jüdisches Mitglied mit seiner Familie nach England emigrieren. Durch jene Briefe gab es erstmals einen Zeitzeugenbericht und eine authentische Erzählung zur Entstehungsgeschichte des österreichischen Le Droit Humain. Zum ersten Mal wurden Namen von Mitgliedern genannt sowie Verbot und Verfolgung durch den Nationalsozialismus thematisiert. Bruder Fritz Engel mahnte eine Auseinandersetzung ein.

🌿 „Vergangenheitsbewältigung“

Am 20.6.1988 schrieb Fritz Engel anlässlich der Idee der Wiederbelebung der Loge Vertrauen im Le Droit Humain Österreich:

„Die Österreicher haben es nicht leicht der Aufforderung der Regierung nachzukommen, um das Gedenkjahr 1988 – 50 Jahre nach dem schicksalsbeladenen Anschluss ans Deutsche Reich, in richtiger Weise zu begehen. Niemand denkt gerne zurück mit oder ohne Schuldgefühl – an diese folgenschwere Zeit. Die Loge Vertrauen wurde ja im Gefolge des Anschlusses in Schlummer richtiger, in Todesschlaf versetzt. Zwei ihrer Mitglieder haben sich selbst umgebracht, um dem KZ zu entgehen und die Schatzmeisterin wurde für 3 Monate eingesperrt. Es ist schwer ein Wort zu finden, welches Richtung gebend ist, um die Vergangenheit zu verarbeiten. Das Schlagwort „Vergangenheitsbewältigung“ enthält zu viel der Sprachwurzel „Bewältigung“, da es zu viel Anklang hat an „Gewalt“ und „Vergewaltigung“. NUR die Wahrheit kann heilen und zwar die tiefe und schöne Wahrheit. Das Weltgeschehen muss von einer sehr hohen geistigen Warte aus beurteilt und gesehen werden. Solch einen Ausblick und Einblick bietet die Freimaurerei, wenn sie richtig erfasst und verstanden wird.“[10]


2025 verfügt die Forschungswerkstätte in Wien über Originalquellen, die zeigen, dass die Geschwister der Zwischenkriegszeit einen sehr sensibilisierten und distanzierten Umgang mit rechtem und faschistischem Gedankengut pflegten. Die wenigen Geschwister, die als Hakenkreuzler bezeichnet wurden, schloss man aus. Antifaschistischer Aktionismus und Demonstration pazifistischer Überzeugung waren Grundlage ihrer humanistisch geprägten Haltung.

🌿 Gründung der Österreichischen Föderation

Mit der Wiedererweckung der Loge Vertrauen 1989 unter der Ehrenmitgliedschaft von Bruder Fritz Engel und der Gründung der österreichischen Föderation 1994 begannen sich die Geschwister langsam wieder auf den Geist der Gründer:innen des Le Droit Humain zu besinnen. Gesellschaftspolitisches Engagement im Einsatz für Menschenrechte und Demokratie, feministisches Bewusstsein, Internationalität und Laizität sollten in der Folge erneut Basis der französisch geprägten gemischten Freimaurerei in Österreich werden.

2025 mehr als 100 Jahre nach der Gründung der ersten gemischten Loge in Österreich, arbeiten in der österreichischen Föderation des Le Droit Humain ca. 700 Mitglieder - Freimaurer und Freimaurerinnen - in 27 Logen, 6 Perfektionslogen, 5 Kapitellogen, vier Aeropagen sowie in Logen der ultimativen Grade. Sie haben ihren Sitz in Wien, Linz, St. Pölten, Salzburg, Innsbruck, Graz und Klagenfurt. Als Freimaurer und Freimaurerinnen arbeiten sie gleichberechtigt am Gebäude der Menschlichkeit im Vertrauen auf den Fortschritt der Menschheit.[11]

LE DROIT HUMAIN sieht sich als weltumspannende Gemeinschaft im Spannungsfeld der Bindung an die europäischen Errungenschaften des Humanismus, der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaates in Konfrontation mit einer multipolaren Welt. Alle verantwortungsbewussten Menschen stehen vor der Herausforderung der schwindenden Gewissheiten. Es ist das Wesen des LE DROIT HUMAIN, sich diesem Wandel zu stellen.[12]
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Siehe auch

Links

Fußnoten & Quellen

  1. Vgl. dazu: Lisa Fischer, Eden hinter den Wäldern. Samuel von Brukenthal: Politiker, Sammler, Freimaurer in Hermannstadt/Sibiu, Wien 2007.
  2. Friedrich Gottschalk, Eine Wiener Freimaurerhandschrift aus dem 18. Jahrhundert von Br. Josef Bauernjöpel, Graz 1986.
  3. Constanze Mozart, Brief an Breitkopf & Härtel, Leipzig vom 27.11.1799 und vom 21.7.1800, DTV Kassel 2005.
  4. Marcus G. Patka, Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich 1869-1938, Wien 2011, S. 43.
  5. Rede von Maria Deraismes nach ihrer Aufnahme 1882, Bulletin International des Le Droit Humain No2 1895, Archiv Le Droit Humain Paris.
  6. Ritual für die Maurerische Arbeit von Georges Martin 1893, Archiv Le Droit Humain Paris.
  7. Ebd.
  8. Internationale Konstitution, Archiv Le Droit Humain Paris.
  9. Forschungswerkstätte und Archiv Le Droit Humain Österreich, Wien.
  10. Brief von Fritz Engel an Hermi Fröhlich vom 20.6.1988, Archiv Le Droit Humain Österreich, Wien
  11. Homepage Le Droit Humain Österreich: https://www.droit-humain.at/.
  12. Ebd.